Tag 3: Heiß, heißer, Berlin!

In Billy Wilders Berlin-Klassiker „Eins, zwei, drei“ antwortet die Südstatten-Teenagerin auf die Frage, warum sie sich denn bei Ihrer Reise von einer zur nächsten europäischen Metropole ausgerechnet für diese (halbe) Stadt entschieden hätte: Sie habe gehört, Berlin sei gerade das heißeste Pflaster. So ähnlich konnten wir uns heute auch fühlen bei wolkenfreiem Himmel, offiziell 28°C Höchsttemperatur und sehr vielen Abschnitten in der Sonne. Es war eindeutig der bisher härteste Tag.

Auch heute führte die Strecke zum sehr überwiegenden Teil an den Berliner Wasserwegen entlang, insbesondere an Spree und Landwehrkanal, hinzu kamen einige Verbindungskanäle. Doch trotz vieler schattiger Abschnitte und Abkühlung an flachen Ufern sowie einzelnen Brunnen und Toiletten (Mütze, Kopf) war es nur schwer erträglich. Es ist das erste Mal in diesem Jahr, das ich solche heißen Tage erlebe. Meine Strategie der 0.5l-Softflask ab der Rennhälfte kam eindeutig an ihre Grenze, milde ausgedrückt.

Die Waden werden fester, die Blasen an den Zehen rechts sind noch nicht schlimm, das rechte Schienbein meldet sich vorsichtig an: Noch alles okay, doch es kann bekanntlich schnell gehen bis ein kritisches Level erreicht wird. Die Erschöpfung ist noch kein Problem. Natürlich bin ich alles andere als frisch, deutlich angezählt, doch das ist halt Etappenlauf und es gibt noch Temporeserven, die geringere Belastung ermöglichen würden. Der Gehanteil hat täglich zugenommen, aber selbst heute bei Hitze und Stadt waren es in der Summe wohl „nur“ wenige Kilometer. Die längsten Abschnitte waren eher so 200 m; dazu kommen die letzten knapp zwei Kilometer in Fünfergruppe, als keiner mehr den anderen weglaufen wollte.

Für heute war es das erst einmal. Nach dem Lauf gibt es (hoffentlich) eine Erweiterung und Fotos.
Als Nächstes schaue ich mir die Wettervorhersage für morgen an, wenn es um die Havelseen und lange in waldiger Umgebung gehen soll.

Tag 2: Überall nur Bekloppte

Das war ein Kommentar eines Typen, an dem wir kurz vor dem Ziel vorbei liefen. Verrückt kam ich mir da auch vor, aber eher nicht „im positiven Sinne“ (was auch immer das sein soll). Der Montag war besonders am Anfang sehr entspannt. Die Straßen waren sehr voll von Autos, doch flanierende Spaziergänger standen nicht im Weg. Ein Schulkind lief mit seinem Ranzen eilig, als würde es uns zum Wettkampf herausfordern, doch vermutlich war es einfach nur spät. Es ging in Potsdam durch das Holländische Viertel, das ich mal in der Jugend angesehen hatte. Leider waren die Erinnerungen auf den (ungefähren) Namen beschränkt, so dass kein Vergleich mit den späten 80ern / Anfang 90ern möglich war. Jetzt ist es ein Hingucker und vermutlich ein großer Potsdamer Touristenmagnet. Morgens kurz vor acht war davon allerdings noch nichts zu spüren.

Der Montag brachte vormittags einige Wolken, die Strecke recht viel Wald und die Höchsttemperatur von angesagten 21°C war doch sehr viel angenehmer laufbar als noch am Vortag. Am Havelsee angekommen ging es ein Stück auf dem fast allen Läufern aus eigener Erfahrung bekannten Mauerweg entlang. Nach erneuter Passage der Glienicker Brücke bogen wir nicht wie gestern Richtung Schlosspark Babelsberg/Potsdam ab, sondern liefen in nordöstlicher Richtung am Teltowkanal entlang. Das war sehr angenehm zu laufen, insbesondere ruhig und kühl. Als ich gerade dachte, dass es schon speziell ist, dort auch zu zelten, aber sicher schön für angelnde Camping-Freunde, fing das Rauschen der querenden Autobahn an. Die nächsten Dörfer Kleinmachnow und Stahnsdorf sind ebenfalls mit eher positiven Jugenderinnerungen verbunden, was diesen Abschnitt für mich besonders attraktiv machte. Den Teil bei Teltow, an dem der Mauerweglauf am gleichnamigen Kanal entlang führt, liefen wir zur Abwechslung auf der Nordseite, auch um später Richtung Schöneberg abzubiegen.

Es folgte ein längerer Bereich zunächst nach Westen durch sehr städtisches Gebiet mit mehreren Autobahnquerungen bis zum Grunewald. Im Grunewald ging es fast zurück nach Südwesten und an vielen schönen, kleinen Seen vorbei. Das gab immer wieder Gelegenheit, Basecap und Kopf zu wässern und kühlen. Badende und (freilaufende) Hunde waren reichlich vorhanden. Die allermeisten Läufer tragen auch bei der Heidi-Challenge Laufwesten oder -rucksäcke und damit einen wertvollen Vorrat an Getränken, Essen und auch Wechselsachen. Darauf verzichte ich hier lieber wegen der kurzen VP-Abstände zwischen 7 und 15 km, was den enormen Vorteil hat, leichter und mit etwas weniger Stauwärme am Rücken unterwegs zu sein. In der (nach-)mittäglichen Wärme geht das nicht mehr, darum deponiere ich in den Dropbags an VPs 3-5 ein paar Riegel sowie eine Trinkflasche, die dann in der Hand gehalten werden muss bzw. in die Hosentasche passt, wenn sie leer ist. Der halbe Liter Reserve war anfangs reichlich, am Ende sehr knapp.

Die erste größere Herausforderung des Tages war ein 5-6 km langer schnurgerade Weg im Grunewald, mit kleineren Bodenwellen. Das gab Grund für „natürliche“ Pausen an den Anstiegen. Mein Glück waren zwei Läufer, die irgendwann in Sichtweite auftauchten. Stetiges Verkürzen des Abstands gab viel Motivation zu langen Laufpassagen – ein prima Training für den Mauerweglauf, denn dort gibt es die ähnlich lange Königsallee, die aus meiner Sicht eine der mentalen Herausforderungen darstellt. Nachdem wir diese zu dritt gemeistert hatten, ging es zu einer kleinen Sandkuhle mit Gewässer hinunter. Der Weg führte in langem Bogen am Waldrand an zwei sich sonnenden Pärchen vorbei. Aber es gab da noch einen weiteren Weg zwischen ihnen, der auch ganz nett aussah. Kay und ich entschieden uns für diesen und standen nach ein paar (hundert) Meter ratlos außerhalb des Tracks. Den fanden wir auch wieder, wir mussten nur den Anstieg hinauf und sahen eine abbiegende Wegmarkierung. Allerdings begann dort wieder die lange Gerade – wir hatten eine schöne Schleife absolviert. Tanya, die gefühlt nur ein paar Meter hinter uns war, lief auf dem richtigen Track und bekam gar nicht mit, dass wir sie umrundeten wir ein Schäferhund die Herde. Angestachelt von unserem Missgeschick, war plötzlich alles ziemlich doof: Die erneut zu durchlaufende Kuhle war sandig und sonnig, der Anstieg irre steil, Tanya am VP längst schon weg und dann ging es auch noch steil auf den Teufelsberg – die zweite Sache, vor der ich bereits im Vorfeld Respekt hatte. Letztlich war der Anstieg schnell geschafft und es war beeindruckend zu sehen, welche Investitionen die Amerikaner im Kalten Krieg auf der höchsten Westberliner Erhebung getätigt haben, bevor auch sie vom Lauf der Geschichte überrascht wurden. Der Abstieg bot einen wunderbaren Weitblick, doch für uns war es einfach nur irre steil auf der Wiese. Wir wollten nur noch ins Ziel. Letzteres sollte sich enorm hinziehen. Erst dauert es lang und länger, in die Zivilisation zurück zu kommen. Als wir dann Häuser und Straßen kreuzten, folgte eine nach der andere, bis wir endlich die Heerstraße erreichten. Dann hatte ich mich komplett vertan in der Annahme, kurz hinter der Brücke in Spandau und Hotelnähe zu sein. Immer noch war Kilometer auf Kilometer zu absolvieren, nun am Havelkanal entlang, um einen Industriehafen und endlich über die Brücke. Die Sonne und Wasserknappheit halfen ebenso wenig wie die Tatsache, dass zu frühes Abbiegen die falsche Brücke und noch einen kleinen Umweg bedeutet. Es ging weiter und weiter. Am Ende sahen wir das Ziel erst 30 m vorher. Puh!

Heidi Tag 1: Havelseen umachtern

Anmeldung und Briefing am Samstag waren wie zu erwarten sehr entspannt, auch wenn ich leider ein paar Minuten zu spät kam. Thomas gab eine sehr schöne Erläuterung des Namens und erinnerte an in vielen Anekdoten an seinen Freund Michael „Heidi“ Wichmann. Genau so hätte ich mir das gewünscht. Das mündete in dem bewegenden Moment, in dem er Heidis Frau als eine der Edelhelfer dieser Veranstaltung vorstellte.
Die Regeln des Laufs waren im Grunde schnell erzählt, da fast alles aus Ausschreibung und anderen Veranstaltungen bekannt war oder sich aus dem gesunden Menschenverstand ergibt. Wieviel davon am Ende noch übrig bleibt, dafür ist UltraläuferIn in erster Linie selbst verantwortlich.
Der rund einen Kilometer lange Fußweg zum Abendessen war schnell absolviert, heute könnte das etwas anders aussehen – es geht wieder zum gleichen Ort. Das Essen war so gut und lecker wie erwartet, zumal es ein „Tischbuffet“ gab, also diverse Gerichte auf den Tisch, die dann nachgefüllt wurden. Heute ist Einzelbestellung angesagt, doch das wird auch gut bei der hohen Qualität.

Von einigen Frühstartern abgesehen starteten fast alle um 8 Uhr, die 9-Uhr-Option wurde heute nicht benötigt. Der Weg führte immer am Wasser der Havelseen entlang. Zumeist waren es Wald- oder asphaltierte Radwege, die später recht belebt wurden und ein regelmäßiges Ausweichen erforderlich machten, ohne dass es zu Problemen oder gar Streitigkeiten kam. Nach einer Handvoll Kilometern überquerten wir eine Einbahnbrücke und liefen auf der anderen Uferseite weiter, hatten den See also links statt zuvor rechts. Nach rund 25 km endete war so etwas wie ein Wendepunkt am „Ende des Sees“ und wir liefen zurück bzw. weiter mit dem See links bis zur Eisenbahnbrücke, an der erneut die Seeseite gewechselt wurde. Nach etwas über 50 km hatten wir den Ausgangspunkt fast erreicht und konnten unser Hotel sehen. Außerdem ging es am Restaurant vorbei – doch es wartete noch eine kleine Runde im Norden auf uns. Das war so mäßig prickelnd, die nachfolgende Strecke dafür äußerst lohnend: Über die Glienicker Brücke ging es auf dem Mauerweg nach Berlin(-Zehlendorf) hinein und dann weiter über die nächste Brücke nach Potsdam(-Babelsberg?), wo es im Park steil aufwärts zu einer traumhaften Aussicht ging (Bilder folgen demnächst, sorry). Ein Fotostopp folgte auf den nächsten und plötzlich waren die letzten drei Kilometer erreicht. Thomas kam uns auf dem Fahrrad entgegen und nach Unterquerung einiger Brücke war das Hotel erreicht. Allerdings – unten: Es waren vielleicht noch so 40 Stufen zu laufen(so haben wir das tatsächlich hier mal gemacht!) und dann wartete das Ziel auf uns.

Wenn ich so im Plural schreibe, liegt das daran, dass ich die meiste Zeit in kleinen Gruppen lief. Ganz am Ende gestartet, war das im ersten Teilstück eher so im mittleren bis hinteren Teil. Am ersten VP nach 12 km nahm ich mir deutlich mehr Zeit als meine Mitstreiter und wurde durchgereicht. Dafür gab es Sonnenschutzspray von Gunnar, der hier und heute als einer der Betreuer anVP1 und 3 fungierte. Wohl in morgentlicher Aufregung hatte ich nämlich das Eincremen vergessen – trotz 2x Sonnencreme im Gepäck. Auch am zweiten VP brauchte ich etwas länger, so dass ich erstmal ein Stück allein lief. Das ging aber auch wunderbar, denn es war nach wie vor zumeist schattig und mit dem See an der (linken) Seite. Nachdem ich dann auf Herve (bitte um Vergebung, ich finde die Akzente leider nicht und habe sogar vergessen, ob es egu oder graph ist) traf, liefen wir zusammen weiter bis zum Ende. Er ist hier fast mehr zu Hause als ich, denn er hat bereits sechs mal den Mauerweglauf absolviert und will in diesem Jahr aussetzen, um die Schweizer Heimat zu durchlaufen… Wir hatten selbstverständlich reichlich Gesprächsstoff und sahen an den VPs immer mal wieder die letzten vor uns. Aber erst auf den letzten 8-9 km nach VP5 erreichten wir sie auch. Von nun war die Dramatik kaum zu überbieten, denn wie ein Schneeball rollten wir gefühlt das halbe Feld auf und kamen letztlich in großer Gruppe ins Ziel, praktisch alle zur gleichen Zeit!

Die Erholungsphase mit Wasser, Softdrinks, Eiweißdrink, Keksen, Dusche, Eincremen und Hochlagern der Beine und ein wenig Ruhe wurde im Schnelldurchlauf absolviert, um diese Zeilen zu schreiben. Nun geht es zum Abendessen – in drei Minuten ist Treff und dazu sollte ich noch in die Hose und Sandalen kommen. Guten Appetit!

Heidi: Accept the Challenge!

Vorbereitung Mauerweglauf
Auf dem langen Weg zum Saisonziel Mauerweglauf 2024 (100 Meilen Berlin) gibt es eine Reihe von Komponenten. Darunter sind mehrtägige Belastungen, um dem Körper mal die Gelegenheit zu bieten, den zu erwartenden Gesamtumfang kennenzulernen. Die mit Abstand wichtigste davon ist gleich eine Ultra-Variante.

Die Heidi-Challenge
ist ein Etappenlauf im Berliner Umland: https://heidichallenge.run/
Der Lauf wird organisiert von Thomas Steinicke, den Franz und ich von der Deutschland-Querung 2022 her kennen, an der Thomas ebenfalls teilnahm. Des weiteren kenne ich ihn vom FDZU sowie von seinen empfehlenswerten Videos von Ultras und Etappenläufen, die mir schon bei mancher Laufvor+nachbereitung halfen. So kann man kurzweilige Videos mehrerer Deutschlandläufe, aber auch von FDZU und Mauerwegläufen auf youtube finden: https://www.youtube.com/@thomassteinicke1077.
Inzwischen wechselte er die Seiten und ist als Organisator aktiv, hat nach meinem Wissen bereits einen Deutschlandland zusammen mit dem berühmten Oliver Witzke organisiert und nun wohl dessen Portfolio an etablierten (Etappen-)Läufen übernommen. Ganz großen Respekt! Seit kurzem laufen die Webseiten noch professioneller mit der Länderkennung „.run“ und die Firma Conibeta tritt als (Mit?-)Veranstalter auf.
Die Namensgebung hängt mit dem Gedenken an Michael „Heidi“ Wichmann zusammen, welcher zusammen mit Thomas Steinicke die Idee zu diesen Lauf während der Pandemiezeit entwickelte, als Läufe reihenweise ausfielen und Alternativen vor der Haustür interessant wurden.

5 Etappen
verlaufen soweit wie möglich entlang der Uferwege Berliner (und Brandenburger) Seen, Flüsse und Kanäle. Daher geht es zumeist sehr flach zu, eine kleine Ausnahme stellt der Teufelsberg im Grunewald dar. Die Distanzen wechselten während der letzten Monate immer mal wieder. Nachdem es im Durchschnitt mal fast 70 km waren, gab es zuletzt einige Kürzungen, um auch für langsamere Läufer zeitlich attraktiv zu bleiben. Somit ergeben sich folgende Streckenlängen:
62 km / 67 km / 63 km / 68 km und 57 km.
Am Samstag treffen sich die Teilnehmer in Potsdam. Nach Startnummernausgabe und Briefing geht es zum gemeinsamen Abendessen in eine „Genussmanufaktur“ – Essen ist wichtig! Gestartet wird am Sonntag, dem 28.April 2024. Wie bei vielen Ultraläufen und Etappenläufen üblich, gibt es mehrere Startgruppen, um unterschiedlichem Lauftempo genüge zu tun bzw. die Öffnungszeiten der Verpflegungspunkte zu begrenzen. Sonntag geht es um 6:30 / 8:00 / 9:00 Uhr los, an den nachfolgenden Wochentagen zumeist eine Stunde früher. Für die Frühstarter wird ein gesondertes Frühstück organisiert, denn die Hotels bieten dann normalerweise noch nichts an.
Apropos: Alle 7-15 km gibt es Verpflegungsstationen. Das sollte bei dem flachen Profil normalerweise genügen, um auf die Mitnahme von Essen und Trinken zu verzichten.

Meine Vorbereitung
auf diesen Etappenlauf war eher rudimentär, da es für mich eher als „ein „Trainingslager mit dem ganz großen Umfang“ in Vorbereitung auf die 100 Meilen dient und nicht einen Wettkampf im klassischen Sinne darstellt. Im Vorfeld des JUNUT habe ich mal versucht, mindestens eine Woche jeden Tag zu laufen. Heraus kamen immerhin 5+4 Tage mit einem Ruhetag dazwischen, allerdings auch mit vergleichsweise bescheidenen zwei Stunden täglich, was als Vorbelastung für einen Ultra-Etappenlauf eigentlich noch zu kurze Einheiten bedeutet. Mehr war nicht möglich. Dafür habe ich seit Jahresbeginn einen Kilometerstand erreicht wie bisher noch nicht: Gut 10 km (bzw. 1 h) am Tag im Durchschnitt! Stolz bin ich darauf, allerdings ist mir bewusst, dass andere ein Vielfaches leisten. Vor dem JUNUT zeigte mir eine Lauffreundin ihre Statistik, die fast das doppelte an Kilometern und dazu noch 25 Höhenkilometer auswiesen (beeindruckend, da sie aus Berlin kommt, was eigentlich nicht so viel alpiner ist als die Ostseeküste).

Meine Zielstellung
ist entsprechend demutsvoll: Ich möchte alle fünf Etappen beenden und dabei möglichst fast immer laufen! Der große Vorteil der Heidi-Challenge, weitgehend flach zu sein, bedeutet umgekehrt auch den „Nachteil“ , dass dadurch die „natürlichen Gehpassagen“ an den Anstiegen fehlen, die einem Ultra oft eine gewisse Struktur und Abwechslung und vor allem auch Erholung bieten. Auf jeden Fall wird es schwierig, die ganze Zeit durchweg zu laufen. Deshalb will ich das gar nicht einplanen oder versuchen. Bei den städtischeren Etappen wird es „mauerweglike“ zu einer Strukturierung durch rote Ampeln kommen, an denen man stehen bleiben und wieder anlaufen muss. Dazu kommen noch Verpflegungspunkte – und eventuell Fotostops. Denn ich plane, zwischendurch auf Laufwolke zu berichten. Vielleicht nicht jeden Tag. Ob es klappt mit Fotos, werden wir sehen. Wie ein Weg am Ufer eines Sees, Flusses oder Kanals aussieht, weiß ja eigentlich jeder. Klassische Berliner Fotomotive oder das Buffet der VPs sind auch nicht gerade spektakulär.
Die Laufgeschwindigkeit bzw. die Laufzeiten sind mir egal. Irgendetwas um die 7-8 vielleicht, dann ist es gleich, ob min/km oder km/h. Solange ich noch laufe, wird es deutlich schneller als das schnelle Gehen bei etwa 6 km/h sein; andererseits wird das gemütliche Laufen bei 10 km/h auf Dauer viel zu schnell. Das passt zum Ziel für den Mauerweglauf, 161 km unter 24 h zu finishen, denn das entspricht bekanntlich einem Durchschnittstempo von 6.7 km/h. Mit kleiner Sicherheitsreserve muss im August also 7 km/h gelaufen werden, wobei das bei Abzug der Pausenzeiten dann etwa 8 km/h entspricht.

Wer läuft noch mit?
Es starten ungefähr 25 Etappenläufer auf der Ultra-Distanz und drei weitere auf der Marathon-Distanz. Letztere werden jeweils etwas nach der letzten Startgruppe ins Auto geladen und dann zum Punkt 42.2 km vor dem Ziel gefahren und dort ins Rennen geschickt. Dazu kommt ein Dutzend Tagesläufer, die ein bis drei Etappen absolvieren, hauptsächlich am Sonntag und wegen des Feiertags am Mittwoch / Donnerstag. Prominentestes Beispiel ist Franz (Mi/Do). David, ein (ehemaliger) Kollege aus Greifswald, wird an diesen beiden Tagen seinen ersten Doppeldecker laufen. Vom Etappenlauf Deutschland-Querung sind die Hälfte der Teilnehmer bei der Heidi dabei. Generell ist schon eine Tendenz erkennbar, dass viele Läufer aus Berlin und Umgebung (5NBL) die Gelegenheit eines Etappenlaufs vor der Haustür nutzen. Fünf ausländische StarterInnen bringen eine internationale Komponente ein, wobei Sari (Finnland) und Tanya (USA) praktisch als eingebürgert zählen könnten…

Ist Konkurrenz wirklich immer gut?
Eigentlich war in unmittelbarer zeitlicher Nähe ein weiterer Etappenlauf geplant: Die LG Mauerweg bot ein ähnliches Projekt in / um Oberhof (Thüringen) an, ebenfalls mit festem Hotel, mit Etappen um die 60 km (bergiges Profil) und mit kürzerer Option (halbe Strecke, gut zum Wandern geeignet). Als Rennsteiglauf-Vereinsmitgleid wäre ich auch dort sehr gern gestartet, habe mich wegen des Profils und der zeitlichen Nähe zum Rennsteiglauf aber für die Heidi-Challenge entschieden, die besser zum Mauerweglauf passt. Leider fanden sich am Ende nicht genügend Teilnehmer, um den enormen Aufwand zu belohnen, schließlich benötigt es mindestens ein halbes Dutzend Helfer, die extra Urlaub nehmen und nach Thüringen reisen müssen – und dann nicht auch noch alle Kosten tragen und den Lauf subventionieren können. In der Folge haben nach meiner Beobachtung zwar einzelne Teilnehmer auf die Heidi-Challenge umgebucht, sich andere hingegen abgemeldet, die beide Läufe hintereinander absolvieren wollten. Insgesamt scheint mir das Potenzial an Etappenläufern nicht optimal genutzt, insbesondere bei der LG Mauerweg gibt es einige Läufer, die möglicherweise dabei wären, wenn es von Anfang an nur ein Angebot gegeben hätte. Das ist alles etwas spekulativ, doch ich finde es schade, dass einerseits viel Engagement und zeitlicher Aufwand inklusive Urlaubsplanung umsonst war, andererseits das mögliche Läuferinteresse nicht optimal genutzt werden konnte. Interessanterweise gab es eine ähnliche Situation schon 2022. Damals gab es für meinen ersten Etappenlauf zwei Optionen:
– Als „Touristischer Begleiter / Fan“ einige Etappen des Transeuropa-Laufs mitzulaufen, der aus dem Baltikum kommend in Swinemünde auf Usedom Station machte und dann nach Berlin sowie weiter Richtung Westen verlief (Franz wollte Berlin-Paris laufen!). Der Lauf wurde abgesagt, weil nach dem russischen Überfall auf die Ukraine viele Teilnehmer aus Übersee absagten und sich der Lauf nicht mehr finanzieren ließ und wohl auch die Querung der Königsberger Enklave schwierig geworden wäre.
– Als „Regulärer Teilnehmer“ die Deutschland-Querung von Thüringen nach Siegen zu laufen. Das passte letztlich besser, weil ich den Rennsteiglauf nicht missen wollte.
Wir alle sind abhängig von Enthusiasten, die ihre Freizeit opfern um Läufe zu organisieren und durchzuführen. Das kann man nie gut lobpreisen. Wenn man reale Kosten bezahlen müsste, beispielsweise weil Veranstalter die Organisation von Läufen professionell betreiben und davon leben oder gar noch Investoren bezahlen müssten, würden die Kosten ein Vielfaches des Gewohnten betragen und alles nur noch auf Show, Kommerz und Gewinnoptimierung ausgerichtet sein.

Vorhersagen
bezüglich des Wetters sind immer eine wechselvolle Geschichte. Man kann sie zwar Wochen im voraus erhalten, doch die Änderungen im weiteren Verlauf sind enorm! Aktuell, wenige Tage vor dem Start, werden für alle 5 Tage Höchsttemperaturen zwischen 23 und 25 Grad sowie (nächtliche) Tiefsttemperaturen von anfangs etwa 10 und später eher 17 Grad angesagt. Es soll weitgehend trocken bleiben. Das deutet auf ein paar sehr warme Tage hin, die wir in diesem Jahr praktisch noch nicht gewpohnt sind. Die gute Nachricht: Weniger (warme) Laufkleidung, mehr Platz im Koffer für Verpflegung und anderen Schnickschnack. Das beinhaltet nun wohl auch ein Tablet zur „Berichterstattung“.

Ausstattung
Meine Planung sieht vor, mit zwei paar Laufschuhen (langlebige Modelle von Lunge und Karhu) auszukommen. Kurze Socken (besser ohne Löcher…) und Calves (optional weglassen, wenn zu warm) sowie eine kurze Hose / Tights sollten genügen. Die Startnummer kommt an und ein kleiner Faltbecher in die Hose, auf eine Laufweste will ich verzichten und nur zwei Oberarmtaschen für das geforderte Mobiltelefon links sowie Brille, Taschentücher, Kleingeld und einen Riegel (rechts) mitnehmen. Auf dem Smartphone sind die einzelnen Tracks der Etappen abrufbar, doch die Strecke ist markiert und sollte leicht ohne Hilfe zu finden sein. Hinzu kommt ein T-Shirt, das vielleicht am VP3 dank Dropbag-Option von dicker auf sommerlich gewechselt wird, Buff und auf den Kopf ein Basecap oder ein Stirnband. Für die ersten Kilometer am Morgen könnten eine dünne Jacke oder Ärmlinge sinnvoll sein, die man am VP abgeben kann.
Nach dem Lauf benötige ich dickere Sachen, wenn die Erschöpfung temperaturempfindlich macht, inklusive Pullover, Handschuhen, dicken Socken und Mütze. Sicherheitshalber packe ich in den Koffer noch das GPS-Gerät mit den Tracks (etrex 30 geliehen von Jörn), die Laufweste, eine dünne Regenjacke, lange Sporthose sowie eine faltbare Schüssel für ein Fußbad.
Der für Reisen übliche Kulturbeutel wird erweitert um Schlaf-, Vitamin- und Kohle-Tabletten, Antiblasen-Gel (Füße, Schritt, evtl. Achseln), Sonnencreme, Fußcreme, Blasenpflaster, Micropore-Pflaster, Brustwarzenpflaster, Kinesiotape, Rettungsdecke „Goldfolie“, Regencape sowie Wasserspray (zur Kühlung). Als Ergänzung zur angebotenen Verpflegung plane ich mit Cola, Ginger Ale, Pulver für Instant-Kaffee, Suppenbrühe und einen Eiweißdrink (direkt nach Zieleinlauf), Haferkeksen, Haferriegeln, Gummibärchen, Salzstangen und Honigwaffeln.

Bitte drückt mir die Daumen! Optimistisch, die Heidi-Challenge erfolgreich zu absolvieren bin ich; aber es gibt so viel, was passieren kann… Bis bald!

Deutschlands vielleicht längste Schleife: Der JUNUT

Lange Läufe gibt es viele in Deutschland, aber natürlich wird die Vielfalt mit zunehmender Streckenlänge geringer. Oberhalb der 120 km-Marke gibt es nach meinem Wissen aktuell eine Handvoll Hundertmeiler sowie einige wenige Landschaftsläufe wie den KoBoLT im Rheintal mit 140 km, den 200km-Lauf im Taubertal sowie zu Pfingsten entweder die TorTour de Ruhr mit 230 km (gerade Jahre) bzw. die Heidi 222 mit 222 km durch die Lüneburger Heide (ungerade Jahre) – und den JUNUT.
(Abgesehen von den 24/48h-Läufen und Etappenläufen natürlich!)

Dabei handelt es sich um einen trailigen Lauf auf dem „Qualitätswanderweg Jurasteig“ in der Oberpfalz. Dieser Wanderweg hat die Besonderheit, ein Rundweg zu sein. Normalerweise wird er in einer Reihe von Tagesetappen erwandert, beispielsweise einem guten Dutzend von etwa 20 km. Zusätzlich gibt es noch thematische Extra-Schlaufenwege, so dass zwei Wochen intensiver Wanderurlaub möglich sind. Die Gesamtlänge des Rundwegs ohne Schlaufen beträgt knapp 240 km. Genau das ist dann auch die Königsstrecke des Jurasteig Nonstop Ultratrails (JUNUT), der jedes Jahr Anfang / Mitte April in Dietfurt an der Altmühl gestartet wird. Die Altmühl ist der erste, aber längst nicht der einzige Fluß an dem entlang die Strecke führt. Bereits nach wenigen km verläuft parallel bzw. anstelle der Altmühl der MainDonau-Kanal, später folgen Donau, Naab, Vils, Lauterach sowie Schwarze und Weiße Laber. Dabei geht es immer wieder von einer zur anderen Flußseite sowie auf und ab zu wunderschönen Berghängen und Aussichten. Die Anstiege sind nicht übermäßig lang oder hoch -„nur“ 100 bis maximal 150 Höhenmeter- doch die Anzahl macht es! Wo sonst zu viele Jäger des Hasen Tod sind, zermübt hier das stetig wiederkehrende Auf und Ab, verbunden natürlich mit der Streckenlänge selbst.

Viel Auf und Ab summiert sich.

Es gibt drei Strecken zur Auswahl:

  • – die ganze Runde von 239 km mit 7500 Höhenmetern und 54 h Zeitlimit
  • – die mittlere Strecke von 170 km mit 5400 Höhenmetern und 39 h Zeitlimit
  • – die „Bambini“-Strecke von 104 km mit 3600 Höhenmetern und 23.5 h Zeitlimit.

Die meisten Läufer nutzen (faltbare) Stöcke, um an den Steigungen bessere Halt zu finden und Kräfte zu sparen. Das ist auch eine Frage der Technik und Übung, wieviel Erleichterung man erzielen kann. Auf flacheren Abschnitten muss das zusätzliche Gepäck in den Rucksack.

Am Main-Donau-Kanal
Nachfolgend: Aufstieg zum Schloß Prunn

Start ist am Freitag um 9 Uhr, 11 Uhr oder 15 Uhr nach freier Auswahl und bevorzugtem Lauftempo. Bei meiner Premiere vor zwei Jahren wollte ich ganz schlau sein und erst nachmittags anreisen, weil ich für meine 104 km erwartete, auch mit 17.5 h auszukommen. Das wäre vermutlich auch machbar gewesen, doch in der (kleineren) 15Uhr-Gruppe gab es keine Läufer meines Formats, die waren alle mindestens zwei Leistungsklassen besser und schneller. Um nicht nachts ganz allein im Wald zu sein, klemmte ich mich dann an die letzte Gruppe und lief ein für mich zerstörerisches Tempo auf den ersten 50 km. Die passenden Rahmenbedingungen gab es obendrauf: Starke Regenfälle, Gewitter und Blitze in ehrfurchtsgebietender Nähe, Sturm und Nachttemperaturen am Gefrierpunkt, wobei mir klar wurde, dass auch meine Ausrüstung nicht ganz optimal war. So kam es, dass ich das Rennen bereits nach 50 km beenden wollte. Kurz vor dem VP teilte ich den anderen meinen Entschluss mit und wir diskutierten hin und her, sie versuchten mich ob der noch ewig langen Zeit zu überzeugen, im Rennen zu bleiben. Ich weiß nicht, wie ich entschieden hätte, aber meine Rettung war der Abbruch der Veranstaltung durch die Rennleitung wegen der katastrophalen (und für manchen Starter sehr riskanten) Rahmenbedingungen. Trotzdem brannten mir danach eine ganze Nacht wie verrückt die Oberschenkel!

Die große Gruppe der 9Uhr-Starter am Marktplatz in Dietfurt.

Im letzten Jahr (2023) zog ich die Konsequenzen – und startete auf der 170er Strecke. Allerdings in der großen Gruppe um 9 Uhr und bei etwas besserem Wetter. Nach anderthalb Tagen war ich im Ziel, äußerst geschafft, aber „Stolz wie Bolle“, wie der Berliner zu sagen pflegt. In diesem Jahr war eine Wiederholung geplant, jedoch ob der anstehenden Pläne des Heidi-Etappenlaufs hoffentlich ohne totale Erschöpfung. Der 2024er Lauf lief dann auch recht gut und mein Fazit ist eigentlich auch positiv. Es war ganz gutes Wetter und hat mir echt Spaß gemacht.
Die Relativierung kommt „nur“ daher, dass ich in diesem Jahr den JUNUT 170 leider nicht beendet habe. Letztlich war es wohl wie immer eine Mischung mehrerer Faktoren, die sich negativ auswirkten. Bei einem Ultralauf ist es ja so, dass Probleme und Überraschungen dazugehören und früher oder später auftauchen. Bis zu einem gewissen Grad ist das vorher zu erwarten und kann gut kompensiert werden, aber irgendwann siegt es über den Willen.

Wenn der Socken aber nun ein Loch hat...

Wenn der Socken aber nun ein Loch hat…

Es ging schon damit los, dass ich blöderweise einen Socken mit Loch an der Fußsohle angezogen hatte. Beim Training merkt man das ja kaum, da lässt sich das kompensieren und selbst eine leicht gereizte Stelle wird schnell wieder ganz normal. Wenn allerdings ein Ultra über anderthalb Tage geplant ist, sollte man doch etwas mehr Verstand erwarten können, denn so etwas wächst sich unweigerlich aus! Jedenfalls war gleich nach dem Start spürbar, dass sich da etwas entwickeln wird. Nach nicht einmal zwei Kilometer suchte ich eine Bank und klebte ein Blasenpflaster drauf. Auf der mit Anti-Rutsch-Gel frisch eingeschmierten Fußsohle hielt das nicht wirklich, aber bis zum VP3 habe ich mich damit gut gefühlt und dort konnte ich die Socken wechseln bzw. dünne unterziehen. Kein ernsthaftes Problem soweit.

Mein Beitrag zum Caspar-David-Friedrich-Jahr 2024!
(Aussichten eines Greifswalders im Mittelgebirge)

Kritischer war vielleicht das Tempo, insbesondere auf abschüssigen Abschnitten. Es fühlte sich alles gut an, der erste Abschnitt war bis auf die Minute genau wie 2023 und auch der nächste nur wenige Minuten schneller absolviert, allerdings auch schon eine dreiviertel Stunde unter meinem groben Zeitplan.
Beim JUNUT sind die Abstände zwischen den VPs zumeist relativ lang, doch mit einer Laufweste kommt man ganz gut klar. Nur wenn es warm ist, wird es schwierig. Dieses Mal war es warm (21 Grad waren angesagt, gefühlt war es deutlich mehr und das noch ungewohnt in diesem Jahr) und sehr sonnig. Am Freitag hatte ich mich eingecremt, am Samstag hatte ich keine Sonnencreme und vergaß leider auch, an VPs danach zu fragen. Das war schon etwas anstrengend, vermutlich hatte ich einen leichten Sonnenstich. Die Strecke zwischen VP2 und 3 (50 bzw. 78 km) wurde recht lang, doch dank einer privaten Zusatzversorgung bekam ich einen Extraliter Wasser (wenn man fragt, sind fast alle Leute bereit zu helfen) und kam damit sehr gut über die Runden.

So war ich bereits nach 11:30 h (ohne Stirnlampennutzung!) beim berühmten VP 3 in Matting (Plan 13 h). Dort ist der VP im Feuerwehrhaus und die Feuerwehr hat sehr viele Mitglieder und Helfer – praktisch ist das ganze Dorf auf den Beinen! Am Eingang steht ein Pizza-Ofen, der im Dauerbetrieb läuft. Sobald man seine Startnummer verkündet, wird das Dropbag gesucht und gebracht und es geht hinein ins Haus. Es war eine Stunde Aufenthalt eingeplant. Obwohl ich mich von Tag- auf Nachtkleidung umgezogen, umfangreich gestärkt, das Telefon geladen, meine Vorräte aufgefüllt und auch einige Zeit auf der Bank liegend ausgeruht habe, war ich bereits nach einer dreiviertel Stunde voller Zuversicht wieder draußen. Dann ging es zur Donau-Fähre, die zur Nachtzeit natürlich nicht fährt und deshalb von der Feuerwehr mit einem Motorboot ersetzt wird (Sie startenab 21 Uhr und stellen dadurch einen zeitlichen Engpaß dar, ein weiterer Grund warum schnellere Läufer gern später starten). Auf der anderen Seite fanden sich schnell zwei Gefährten für den ersten Nachtabschnitt. Dank geliehener Stirnlampe konnte ich dieses Mal sehr viel mehr von den kleinen Reflektoraufklebern profitieren, die auf den Wegweisern angebracht wurden. Das ermöglicht, mehrere und teils hundert Meter entfernte Schilder im voraus zu erkennen und macht die nächtliche Orientierung viel einfacher, vielleicht sogar besser als am Tage. Genial! (Leider gibt es einen Förster, der in seinem -zum Glück kleinen- Zuständigkeitsbereich regelmäßig die Reflektoren abkratzt, weshalb einer der Helfer diesen Abschnitt jeweils kurz vor dem Lauf noch einmal neu beklebt. Nicht die einzige Anekdote mit Förstern: Dieses Mal wurde die Polizei gerufen, weil stirnlampenbewehrte Läufer bei der Wildschweinjagd stören und sich überhaupt selbst gefährden würden und deshalb nachts nix zu suchen hätten im Wald! Leider war der zuständige Polizeibeamte zunächst nur eingeschränkt erreichbar, da er als Helfer an einem VP stand…)

So langsam waren die bisherigen Belastungen zu spüren, insbesondere auf abschüssigem Geläuf stellten sich unangenehme Schmerzen oberhalb des Knies ein, das ist wohl der Ansatz des Quadrizeps und typisch für Läufer, die Bergabtraining und kompensierende Übungen vernachlässigen! Der VP 4 nach 88 km war relativ schnell erreicht und zügig absolviert, bis zum VP 5 bei 104 km, dem Ziel der kürzesten Strecke, nahmen die Probleme jedoch deutlich zu. Jeder Schritt bergab schmerzte, ich wurde müde und deprimiert ob der noch so langen Anstrengung und Strecke vor mir. Eine längere Pause war zwar nicht vorgesehen, jedoch dringend indiziert! Es wurden mit Ruhe auf einer Liege bestimmt anderthalb Stunden, doch sie taten sehr gut. Der VP-Betreuer, der sich dort sehr liebevoll um mich kümmerte, war sehr erstaunt, dass es dann doch noch weiter ging, aber es war ja noch nicht einmal hell draußen und auch noch reichlich Zeit und Weg zu gehen…
Der nachfolgende Abschnitt bis VP 6 bei 117 km war vergleichsweise kurz. Mit einer Mischung aus alten Problemen (Schmerzen) und frischem Elan ging es überraschend gut voran, insbesondere auf den letzten paar Kilometern, die leicht bergauf verliefen, was sich wunderbar und kraftvoll wandern ließ. Vielleicht war es ja einfach nur das erste Tief gewesen, aus dem es nun in den lichten Tag hinein geht!? Zumindest wollte ich das sehr gern glauben und machte mich mit viel Zuversicht auf den Weg zum nächsten VP 7 bei 138 km.

Dieser lange Abschnitt wurde für mich dann auch der letzte. Es kam alles zusammen und wurde mir irgendwann zu viel: erneute Sonne (ohne Sonnencreme), Wärme (mit Extrawässerung in diversen Dörfern), Verlaufen und Abkürzungen zurück durch Wald und Gebüsch, immerfort Anstiege und Gefälle und gefühlt eine Schleife nach der anderen anstelle des direkten Weges neben der Straße. Dazu kam das Wissen vom letzten Jahr, dass es auf den letzten beiden Abschnitten bei km170 genauso weiter gehen würde, allerdings eher mit höherem Anteil an sonnigen Abschnitten. Irgendwie wollte ich diese Quälerei nicht mehr, hatte viel Respekt vor dem Nachfolgenden und befürchtete, mich vollend abzuschießen. Was, wenn ich zwar ins Ziel käme, doch danach mehrere Wochen nicht in der Lage wäre zu laufen? Schließlich war es ein ganz wesentlicher Teil des JUNUT-Plans gewesen, möglichst schonend über die Strecke zu kommen.

So habe ich mir dann meine Aufgabe des JUNUT damit schöngeredet, dass ich ja mit 138 von 170 km einen großen Teil geschafft hätte und nun „verantwortungsvoll“ handeln würde. Es sind genau zwei Wochen Erholungszeit bis zum nächten Abschnitt meiner Vorbereitung auf den Mauerweglauf im August: Der HEIDI-Challenge, einem flachen Etappenlauf über 340 km in 5 Tagen (So 28.04.-Do 02.05.2024), entlang der Seen, Flüsse und Kanäle rund um Potsdam und Berlin. Sollte es gelingen, den ohne große Probleme durchzuziehen (nur kurze Wanderabschnitte), dann war es die richtige Entscheidung. Wenn auch das scheitert, werden die ganz erheblichen Zweifel kommen. Franz und ich werden davon berichten!

Kalt – Hart – Schön? Der Nachbericht

(Der Vorbericht findet sich hier)

Es ist halt wie es ist, so auch mit dem Werbeversprechen der Brocken-Challenge:

Kalt war es nun wirklich nicht. Beim Start morgens um 6 Uhr waren 10 Grad angekündigt und wohl auch vorhanden, später wurde es etwas kühler (=weniger warm) und am Brocken endete der Lauf in der Nähe des Gefrierpunkts. Aber für einen Lauf Mitte Februar auf den höchsten Berg Norddeutschlands mit ausgewiesen alpinem Klima, der in den vergangenen Jahren oft mit eisig-kaltem Wetter, Glatteis, meterhohem Schnee oder ähnlichen Wetterbedingungen für die größten Herausforderungen sorgte, glich das Ganze eher einem „Lauf in den Frühling“. Der leichte Westwind (eher im Rücken als im Gesicht) und wenige matschige Abschnitte änderten daran nicht viel. In vergangenen Jahren war auch das manchmal anders, da gab es teils Schlammbäder auf früheren Wanderwegen nach Einsätzen von „Harvestern“. Zwar hatte es im Vorfeld reichlich Regen gegeben, aber glücklicherweise waren die Wege nicht zerfurcht und meist gut laufbar. Nur ein matschig-schlammiger Anstieg über etwa einen Kilometer ist mir in Erinnerung geblieben.

Das sind perfekte Bedingungen für schnelle Zeiten und die gab es reichlich (Ergebnisse), unter anderem Streckenrekorde bei Männern und Frauen!

Schön ist vieles an der Landschaft! Es gab mehrfach schöne Aussichten bei teils hoher Sichtweite, auch wenn der Himmel zwischendurch immer wieder bewölkt war. Noch kurz unter dem Brocken gab es ungewöhnliche Blicke, oben war dann „natürlich“ Brockenwetter, also Nebel. Weniger schön hingegen ist, was man in der Nähe sieht: Totalschaden am Wald, wie es mittlerweile nicht nur vom Harz, sondern auch von anderen Mittelgebirgen bekannt ist (siehe Franz Bericht zur Deutschland-Querung 2022). Bilder davon zeigen unter anderem die Berichte anderer Läufer, die man auf der Homepage des Laufes findet. Lichtblicke geben jedoch nicht nur die fehlenden Baumkronen, sondern auch immer öfter Neubewuchs und Anpflanzungen. Ein Teil der Spendengelder geht an entsprechende Projekte.

Laufen mit dieser speziellen Ultra-Familie ist sowieso eine schöne Sache und die Erlebnisse sind auf jeden Fall da.

Hart kann jeder Lauf sein, wenn man das Tempo entsprechend gestaltet. Die vielen Bergpassagen bieten dazu reichlich Gelegenheit! Der (erste) Entsafter kurz nach Marathondistanz prägte mich am stärksten, da Axel, mein Begleiter über den ganzen Lauf, mich nach der kurzen und sehr steilen Gehpassage anspornte, diesen über fast 10 km gleichmäßig seichten Anstieg möglichst durchgängig zu laufen. Das klappte sogar weitgehend, aber danach war es erst einmal vorbei mit der Wohlfühlatmosphäre! Insgesamt hat die zweite Streckenhälfte viel mehr (positive) Höhenmeter, aber wir bewältigten sie in etwa der gleichen Zeit, ganz entgegen meinen ursprünglichen Plänen und Absichten. So kamen wir sogar noch im Hellen an und sahen auf dem Goetheweg die Brockenbahn passieren (siehe Beweisfoto). Natürlich war ich sehr geschafft, aber glücklich, endlich oben angekommen zu sein. Dusche (heiß und kurze Wartezeit!) und Essensbuffet (eher kein Hunger, nachdem ich am letzten VP das Kuchenbuffet geplündert habe) sowie ein schöner Holzaufsteller statt einer klassischen Medaille waren ein wohlverdienter Lohn für die Mühen. Insgesamt hatte ich das Gefühl, mich nicht komplett verausgabt zu haben, womit ich sehr zufrieden war. Der 7 km lange Abstieg wurde zu einer netten Nachtwanderung in einer Gruppe und nach moderater Wartezeit in der Hochmoorbaude bei Tee und Resten der Verpflegung kamen wir alle noch im ersten Bus nach Göttingen unter (21:30 Uhr, der zweite Bus fuhr erst 23 Uhr). Zugeben muss ich jedoch, dass ich mich zwar in den nächsten 2-3 Tagen gut und besser fühlte, obwohl sich noch eine Dienstreise anschloss, aber dafür nach 5 Tagen total fertig war und das Kreuz / die Hüfte Probleme bereitete. Keine gute Voraussetzung für die „Reise in den Süden“, die für das nachfolgende Wochenende anstand! Die Anmeldung musste aber wegen knapper Startplatzressourcen bereits im November erfolgen, also bevor am 1.Dezember das Ergebnis der BC-Lotterie verkündet wurde.

Fazit: Die Brocken-Challenge ist bei jedem Wetter eine Reise wert! Aber ich habe die Warmduscher-Version erwischt – ob das extra wegen mir Warmduscher war? Naja, so wichtig ist keiner.

Die größte Challenge ist und bleibt nun einmal, den Anforderungen des harten (Winter-) Wetters zu trotzen und heldenhaft zu finishen, im Orkan oder mit vereisten Augenbrauen und Trinkflaschen oder Füßen im Eiswasser oder Schnee bis zu den Hüften oder Schlamm bis zu den Waden oder oder oder. Für mich steht fest: Das war ein Finish außer der Reihe, zählt als harter Ultralauf, aber nicht als „echte“ Bewältigung einer Brocken-Challenge. Ich werde es wohl noch einmal versuchen und meinen Namen in den Lostopf werfen. Dann in Erwartung geringerer Chancen bezüglich der BC-Lotterie, aber höherer Chancen bezüglich der Wetter-Lotterie à BC 202x – Here we go!

Der Berg ruft! Vorbereitung auf die Brocken-Challenge am 17.02.2024

Ein Lottogewinn
Immer wieder muss ich an den berühmten Loriot-Sketch mit „Erwin Lindemann“ denken, dem Lotto-Gewinner, der ein Fernsehinterview geben soll und durch die ganze Filmcrew und immer wieder neue Aufnahmen am Ende so aufgeregt ist, dass er nicht mal seinen eigenen Namen nennen kann. Ein Lotterie-Gewinner bin auch ich – bei der BC-Verlosung habe ich einen Startplatz gewonnen1. BC steht für Brocken-Challenge und ist eine wunderbare Veranstaltung Göttinger Lauffreunde, die sich im Ausdauer- Sport für Menschlichkeit (ASFM) organisiert haben.

Die Idee
Die eine Idee: Lasst uns doch mal auf den Berg um die Ecke laufen. Nun gut, jener Berg namens Brocken steht halt 80 km weit entfernt, aber das gehört zu den Details, nix was Ultraläufer vom Plan abbringen würde. Die nächste Idee: Wenn schon, dann bei bestem Wetter, also Mitte Februar; im Sommer kann das ja jeder. Die dritte Idee: Verbinden wir das Ganze mit einer Spendenaktion. So gibt es keine Startgelder, alle Leistungen der Veranstalter und seiner Helfer erfolgen unentgeltlich, hinzu kommen viele Sach- und Geldspenden. Alle Einnahmen gehen in die große Spendenkasse, aus der in 19 Jahren fast 400 000 € an eine lange Liste karitativer Einrichtungen und Organisationen in der Region und der Welt verteilt werden konnten.

Die Vorbereitung:
Keine Winterpause
Wie bereitet man sich auf etwas Unbekanntes vor, das viele Unwägbarkeiten verspricht? Normalerweise machen Läufer zwar keinen Winterschlaf, aber doch einige Wochen Pause bzw. stark reduziertes Programm zur Erholung im November/Dezember. Nach den Festessen geht es mit guten Vorsätzen ins neue Jahr und die meisten haben dann im Mai bis Juni den ersten läuferischen Jahreshöhepunkt, auf den sie typischerweise um die 20 Wochen trainieren. Das funktioniert nicht, wenn man zur BC im Februar fit sein will, zumindest fit genug, um mit guter Wahrscheinlichkeit und Zufriedenheit ins Ziel zu kommen. Also gab es dieses Mal keine Winterpause, dafür im November noch zwei Läufe (ein kurzer schneller Rundenlauf und ein langsamer langer Ultra beim „kleinen“ KoBoLT) und mehr oder weniger normales Training.

Wintertraining
Die spezifische Vorbereitung begann kurz vor Weihnachten mit einem Ausflug in die nächste Kleinstadt: Mit Wintersachen und Laufweste laufen, sich zwischendurch selbst verpflegen und im Supermarkt nachkaufen für ein Mittagessen. Später kamen Läufe im (in Greifswald eher ungewöhnlichen) Schnee hinzu, erste Tests mit neuen, unterschnallbaren Spikes für Schnee und Glatteis (ohne die wird es sonst im Hochgebirge zum Risikospiel) sowie mit Neopren-Socken. Letztere Neuerwerbung ist der Sorge geschuldet, dass bei Kälte in Kombination mit Schnee oder (überfrorenen) Pfützen ein längeres Laufen mit nassen und kalten Füssen erforderlich sein könnte. Von früheren Ausgaben der BC gibt es reichlich Berichte darüber. Dagegen sollen die Socken gut helfen, nach dem gleichen Prinzip wie bei ihren großen Geschwistern, den Neoprenanzügen für Wassersportler. Diese sind zwar auch nicht wasserdicht, helfen aber eine wärmeisolierende (Wasser-) Schicht um den Körper aufzubauen. Bei perfekten Bedingungen in Form von Schneematsch und Niesel mit Temperaturen leicht über dem Gefrierpunkt erfolgte kürzlich noch ein Härtetest. Ich habe mir das bei den Experten im Matschwesen abgeschaut – Kindern, die mit Gummistiefeln und Matschhose so lange in Pfützen herumspringen, bis es von Erziehungsberechtigten verboten wird. Mangels Letzterer bin ich allein und nur durch alle Pfützen gelaufen, die ich auf der Laufstrecke finden konnte. Das genügte für die Feststellung, dass das irre Spaß bereitet und dass die Füße zwar gut naß, aber bei laufender Bewegung bald darauf auch wieder warm werden. Natürlich auch, um die Hose knieabwärts ebenfalls einzunässen. Wie sich das auf die bei Nässe üblichen Blasen an schrumpeliger Haut auswirkt, muss dann der Langzeittest zeigen, da reichen zwei Stunden noch nicht aus (zum Glück).

Warmduscher
Das Laufen bei Schneefall und Dunkelheit zu trainieren war ein ähnlicher Spaß. Mit Stirnlampe ausgestattet, war die gefühlte Sichtweite ungefähr eine Armlänge – ein großartiges Vergnügen! Tatsächlich sieht man schon ein paar Meter mehr vom Weg und reflektierende Verkehrsschilder gar hundert(e) Meter. Was sich hier im Norden Deutschlands ebenfalls einfach üben läßt, ist das Laufen bei Sturm, Regen und Kälte. So ließen sich immer wieder Übungseinheiten mit dem Schwerpunkt „Frieren und Laufen“ einstreuen. Dabei stellte ich fest, dass nicht mehr viel von einstiger Abhärtung durchs Freiwasserschwimmen übrig ist, auf die ich mal mindestens so stolz war wie die klappernden Zähne weit zu hören. Die finale Transformation zum laufenden, warmduschenden Weichei scheint vollzogen.

Berglauf?
Skeptiker werden vielleicht einbringen, dass bei knapp zwei positiven Höhenkilometern auch das Berglaufen eine gewisse Bedeutung haben könnte. Das mag sein, aber Berge in dem Sinne von Höhenunterschieden gibt es hier eben nicht wirklich. Manche der höchsten Erhebungen sind in fast jedes Training eingebaut, aber der Trainingseffekt ist zweifelhaft bei einer Straßenbrücke bzw. Unterführung. Ansonsten setze ich auf Altbewährtes: Streckenprofile anstarren und Internetvideos gucken sowie Berichte lesen. Das hat mir schon beim bisher einzigen Ausflug in die Welt der Etappenläufe nach wenigen Tagen „Shin-splints“ eingebracht, das klassische wie äußerst schmerzhafte Schienbeinkanten-Syndrom. Bei Eintagesläufen bin ich bisher davon verschont geblieben. Mut macht, dass meine Probleme eher beim Bergablauf liegen und es vor allem am Ende zumeist aufwärts geht. Allerdings gilt am Brocken die alte Flieger-Regel „Oben geblieben ist noch keiner“, denn zum Parkplatz, von dem aus dem Busse oder Autos zurück nach Göttingen fahren, führt nur der 7km-Fußweg mit 400 Höhenmetern abwärts.2

Warten auf ToGo
Die Woche der Brocken-Challenge hat begonnen, der Kilometerzähler gaukelt einen zu diesem frühen Termin im Jahr noch unerreichten Trainingszustand vor (trotz zwei festen Ruhetagen wöchentlich ergibt sich ein Tagesdurchschnitt von 10 km oder einer Laufstunde). Lange Listen zu Reisedetails, Streckenabschnitten, Laufsachen, Inhalten von Laufweste, Dropbag und Brockentasche sind geschrieben, Hinweise der Organisatoren und der Streckenplan sind ausgedruckt und als GPX-Track auf dem Telefon gespeichert. Nun heißt es nur noch abwarten, 1-2 mal gemächlich joggen um nicht die Fortbewegungsart zu vergessen und am Freitag alles in mich hineinstopfen, was geht. Füße eincremen, Brustwarzen abkleben, Wetterbericht verfolgen und die Laufsachen möglichst nicht völlig falsch wählen.

Nächste Woche gibt es einen Nachbericht, versprochen.3 Bis dahin hoffen wir mal, dass es Spaß macht, wenn es heißt:
„Brocken-Challenge 2024 – here we go!“

  1. Wenn doch mal jemand fragen würde: „Wie laufen Sie denn hier herum? Sie haben wohl Ihre Lauferlaubnis im Lotto gewonnen?“, könnten fast alle antworten: „Na klar!“. Fast alle, denn für (frühere) Helfer und Traditionsläufer gibt es Sonderstartrechte. ↩︎
  2. Mit wenigen Ausnahmen, denn manche Teilnehmer übernachten auch im Hotel auf dem Brocken ↩︎
  3. Danach geht es zum Aufwärmen in den Süden, zu den Bergvölkern. Es wird unterirdisch… ↩︎

Laufen, wo andere Urlaub machen

Als zugezogener Fischkopp möchte ich die Laufwolke nutzen, die langen Läufe in meinem Bundesland Mecklenburg-Vorpommern vorstellen und auch dafür werben, hier nicht nur Urlaub, sondern auch Laufurlaub zu machen. Zumindest für manche unserer Läufe lohnt sich ein Kurztrip an die See. Wobei das nicht unbedingt die Ostsee sein muss: Es gibt so einige Seen, die man laufend umrunden kann. 

Meine Laufgeschichte:
Beginnen werde ich mit dem Lauf, den ich am besten kenne, da ich seit 2019 immer irgendwie dabei bin – dem Fischland-Darß-Zingst-Ultramarathon. Damals war ich auf dem Weg zum Ostseeschwimmen in Prerow (recht frisch im Juni, so viel sei verraten) mit dem Fahrrad vom Barther Bahnhof unterwegs und sah noch in Barth einige merkwürdige Hinweise auf eine mir bis dato unbekannte Sportveranstaltung. Zunächst waren es Markierungen mit roter Sprühkreide, die Pfeile und das Kürzel „FDZU“ trugen, später kamen Absperrbänder und ein Verpflegungspunkt hinzu. Bei der Passage eines Läufers an der Meiningen-Brücke erklärte mir seine Radbegleitung (Klapprad!), dass sie gerade einen 115km-Ultramarathon absolvieren. Im nächsten Jahr las ich zufällig von einem freien Staffelplatz und durfte mit einer tollen Truppe ein tolles Rennen miterleben. 2021 lief ich in Vorbereitung des Mauerweglaufs selbst. 2022 konnte ich nach der Deutschlandquerung wegen Schienbeinkantensyndrom nicht laufen und betreute einen VP. In diesem Jahr waren wegen „Bremen-Sankt Pauli“ erneute Helferdienste geplant, doch weil ich diesen abbrechen musste und beim FDZU bereits viele Helfer vorhanden waren, lief ich sehr kurzfristig doch noch, wenngleich nicht in bestmöglicher Form.


Der FDZU verbindet die beiden MV-Landesteile:
Start ist im mecklenburgischen Ortsteil Ribnitz, die Brücke zum vorpommerschen Damgarten wird kurz nach dem ersten Kilometer überquert; erst nach über 90 km geht es dann zurück nach Mecklenburg. Der Lauf darf somit aktuell als der einzige (mehrheitlich) in Vorpommern stattfindende Ultramarathon gezählt werden (ja, Start und Ziel sind in Meckelbörg). Er verläuft zunächst auf dem Festland und passiert dann entgegen Uhrzeigersinn und Veranstaltungsnamen den Zingst, den Darß und das Fischland. Diese drei Landesteile waren vor langer Zeit Inseln, die sich zur nunmehrigen Halbinsel verbanden – Küsten sind selbst ohne Meeresanstieg ständiger Veränderung unterworfen.

Videoempfehlung:
Thomas Steinicke hat vom FDZU 2021 eines seiner schönen Videos ins Netz gestellt. Vieles des nachfolgend Beschriebenen ist darin gut zu erkennen, u.a. die Helligkeit beim Start, entgegenkommende Läufer nahe der Barther Schleife, den schmalen Pfad dort, die Brücken, den Deichweg, die lange Strecke am Bodden, den Strandabschnitt. https://www.youtube.com/watch?v=6SYAeO62wfg

Wettbewerbe:
Man kann sich prinzipiell zwischen zwei Distanzen entscheiden (100 km / 115 km), wobei die längere Strecke eher 12-13 km als die offiziellen 15 km länger sein dürfte. Es ist möglich, sich für 115 km anzumelden und spontan nach 100 km auszusteigen und direkt in die 100er-Wertung zu kommen. Auf der etwas längeren Distanz wird die Fünfer-Staffel mit vorgeschriebenen Wechselpunkten angeboten. Wer mal bei einem Ultralauf etwas gewinnen möchte, hat hier hervorragende Chancen: Normalerweise sind weniger als eine Handvoll Staffeln am Start, 2023 sogar keine einzige (für 2024 ist bereits eine gemeldet). Dabei gibt es einiges zu gewinnen, von handgetöpferten Medaillen und Vasen bis hin zu Bernsteinschmuck, zumindest für die drei Erstplazierten jeder Kategorie (und jeden Staffel-Starter!). Eine weitere, sehr interessante Variante ist Run+Bike. Ein Team aus zwei Startern kann sich mit dem Laufen und der Fahrradbegleitung beliebig ablösen, solange sie sich nicht weit voneinander entfernen. Man kann das paritätisch machen und beispielsweise alle 1, 3 oder 10 km wechseln – oder aber einer läuft 100 km und der andere den Rest. Die schnellen Spezialisten -es gibt mehrere Wiederholungstäter- haben erstaunlich kurze Abschnitte, teils unter einem Kilometer. Es gab aber auch ein Pärchen, bei dem sich der Mann zunächst kurz auspowerte und die Frau dann für über 80 km übernahm, bevor er wiederum finishte. Sie nutzten den FDZU als Testlauf für ihren Mauerweglauf, wobei sowohl die lange Laufstrecke als auch die Radbegleitung getestet wurden. Neben dem Belastungstest für das Sitzfleisch betrifft das die Befestigung von Navi-Systemen, Trinkflaschen, Körben, Seitentaschen und deren logistisch sinnvolle Nutzung auf der Strecke.

Damit kommen wir zum nächsten Punkt. Auch das scheinbar simple „Neben-dem-Läufer-fahren“ ist nicht ganz ohne, gilt es doch, keinen Druck aufzubauen (durch Vorausfahren) und nicht vom Rad zu fallen.
Radbegleitung für Einzelläufer:
Hier macht der Veranstalter auf der Webseite etwas widersprüchliche Angaben: Zum einen heißt es dort: „Die Wege sind durchweg für Fahrräder geeignet. Daher hat es neben dem run-and-bike auch die Möglichkeit der Fahrradbegleitung für Ultramarathonläufer gegeben. Es gibt keine besonderen Ansprüche an die Fahrräder. Sie sollten allerdings den allgemein gültigen Verkehrsregeln entsprechen.“ So kenne ich das auch. Zum anderen steht bei „Allgemeine Laufbedingungen“ etwas missverständlich: „Eine Begleitperson, die nicht startberechtigt ist und auch keine offizielle Startnummer erworben hat, darf den Läufer/in nicht begleiten.“ Damit sind wahrscheinlich laufende Begleiter gemeint. Eine offizielle Registrierung für Begleiträder ist bei der Anmeldung weder vorgesehen noch erforderlich. Wie erwähnt, wurden Radbegleitungen stets willkommen geheißen. Da sie meist mehr dabei haben als die Läufer und sie selbst benötigen, ist die Verpflegungsfrage auch keine wirklich relevante.

Anreise und Briefing:
Die Anreise nach Ribnitz-Damgarten am Freitag ist wegen der Startzeit quasi obligatorisch. Für Alleinreisende ist die Jugendherberge in Bahnhofsnähe empfehlenswert; bis 2022 fand hier auch die Startnummernausgabe statt, 2023 erstmals im Stadion. Für Gruppen kann sich auch eine Ferienwohnung lohnen – frühe Buchung ist zu empfehlen. Beim Briefing ist auch die Abgabe eines Dropbags für den VP Zingst Seebrücke bei ca. 60 km möglich. Da Start und Ziel etwa zwei Kilometer voneinander und einen Kilometer von der Innenstadt und der Jugendherberge entfernt liegen, werden gern Fahrgemeinschaften gebildet. 2023 boten Crew-Mitglieder auch den morgendlichen Transfer vom Parkplatz am Ziel zum Start am Stadion an, zumindest soweit sie bei ihrer eigenen Anfahrt noch Platz im Auto hatten. Wer es nicht bis zum offiziellen Briefing um 18 Uhr schafft (beispielsweise, wenn die Anreise erst nach der Arbeit und per Bahn möglich ist), bekommt seine Startunterlagen (und ein paar Worte der Einweisung) auch noch kurz vor dem Start.

Start:
Der Start ist bemerkenswert früh um 4 Uhr! Das macht ein sehr zeitiges Aufstehen erforderlich, hat aber seine Vorteile: Wenn man erst einmal läuft, ist es praktisch, weil der Lauftag früher endet. Selbst nach 16 Stunden Lauf ist es mit 20 Uhr noch halbwegs früher Abend und längst nicht dunkel. Außerdem sind die morgendliche Ruhe und der Blick aufs platte Land am Bodden mit typischem Frühnebel sehr schön. Auf wenig anspruchsvoller Strecke Kilometer lassen sich schrubben, die eigentlichen Herausforderungen sind noch fern. Nahe der Sommersonnenwende Mitte Juni ist es an der Ostsee gegen 4 Uhr bereits hell genug; Stirnlampen werden keinesfalls benötigt, auf den ersten Metern mit ein paar Bäumen sorgen die Veranstalter mit Leuchtmarkierungen vor. Besonders stilvoll ist der Start mit Feuerschalen direkt auf der Laufbahn des Stadions. Normalerweise ist es nicht sehr kühl, so dass im Vergleich zur „sommerlichen Tagesbekleidung“ höchstens noch eine dünne Jacke oder ein zusätzliches dünnes Shirt benötigt werden, die an einem der ersten VP abgegeben werden können.

Verpflegungspunkte:
Die insgesamt 15 VP sind so dicht gelegen, dass eigentlich keine Zusatzversorgung aus einem Rucksack erforderlich ist. Nur kann es ab mittags auch im Juni so warm werden, dass man sich vielleicht ständig etwas Kühlwasser wünscht. Die Versorgung selbst ist vielleicht als „Standard“ zu bezeichnen. Es gibt natürlich Wasser, Tee, Cola, Bananen, Riegel und teils auch noch mehr, aber der Ultraläufer ist inzwischen verwöhnt bzw. durchaus mehr gewohnt. Im Dropbag (VP8 nach 61 km) lassen sich Sonderwünsche deponieren; je nach Trinkgewohnheiten kann das vielleicht eine Trinkweste sein für die nachfolgenden sonnigeren Abschnitte. Weil es ein sehr überschaubares Teilnehmerfeld gibt, kann man bei Bedarf am Freitagabend mit den VP-Verantwortlichen reden und wird in der Regel jeden Wunsch erfüllt bekommen. Mancher verträgt ja nur bestimmte Gels oder benötigt spezielle Diät.

Strecke:
Der Untergrund ist vielfältig, wird aber dominiert von Asphaltabschnitten – Straßenschuhe sind eindeutig zu empfehlen. Die Strecke ist kaum bewaldet und so flach wie viele es von der Küste erwarten. Es gibt keine einzige Brücke über eine Straße zu erklimmen, lediglich an der Brücke über den Bodden vor Zingst, an einzelnen Deichen, am Ortseingang vor Prerow und zum Steilufer vor Wustrow geht es mal eine Handvoll Meter hoch. Dafür kann der Läufer nicht nur auf „Gut Glück“ hoffen, sondern auch durch einen gleichnamigen Ort laufen. Weitere klangvolle Orte wie Kückenshagen oder Saal am Saaler Bodden sind da bereits passiert, Neuendorf (das gibt es überall), Michaelsdorf und Bodstedt am Bodstedter Bodden folgten. Kurz danach gibt es eine Schleife bei Barth, die historisch entstanden und sonst nicht wirklich verständlich ist (km28-40). Hier gibt es nach dem VP4 (28 km) zunächst einen Abstecher auf eine Halbinsel, bei dem insbesondere der zweite Teil zurück einerseits ein tolles Panorama mit Bodden und Barth bietet, andererseits auch einen schwierigen Untergrund. Da der zweispurige Fahrweg so selten genutzt wird, dass nur schmale Spuren im Gras sind, kann man die Füße nicht nebeneinander und schlecht hintereinander setzen. Das ist schwer zu beschreiben, aber jeder ist froh, die vielleicht 3 km hinter sich gebracht zu haben. Nach kurzem Weg zum Barther Hafen mit Wendeschleife geht es wieder zurück zum VP5 (40 km, identisch mit VP4). Fahrradbegleitungen machen diesen Umweg teils gar nicht erst mit, sondern lieber eine Klönpause bei den netten VP-Betreibern oder einen Abstecher zum nahen gelegenen (Dorf-)Bäcker.

Mit absolviertem Marathon und beginnendem Ultramarathon geht es auf mehrere
Abschnitte, die sich erheblich in die Länge ziehen können:
Zunächst die Strecke über Pruchten und Bresewitz bis zur Meinigen-Brücke auf die Halbinsel (teils neben der alten Bahnlinie, deren Wiederaufbau langsam realistischer wird), dann nach Zingst und auf dem Deichweg bis zum Zingster Hafen (VP7 bei 50 km), dann laaange um den Ort Zingst herum (wunderschöne Strecke auf dem Deichweg am Bodden bis Müggenburg, aber dieses Jahr gegen den Wind…) und schließlich ostseeseitig auf dem Deich ewig bis nach Prerow (VP9 Krabbenort bei 69 km). Ein Sonnenbrand droht inzwischen dem, der nicht vorgesorgt hat, beispielsweise mit Creme aus dem Dropbag vom VP8 an der Zingster Seebrücke nach 61 km. Der Deichweg zwischen Zingst und Prerow ist stark befahren von Radfahrern, je nach eigener Form und Zufriedenheit mit sich und der Welt kann das eine wunderbare Abwechslung oder einfach nur nervend sein. Doch eigentlich stört man sich gegenseitig nicht wirklich, denn der Weg ist breit.

Auch hinter Prerow ist kaum Schatten und die Abschnitte können sich lang hinziehen. Das alles nun schon von mehreren Läufen kennend weiß ich so einigermaßen, was mich erwartet. Respekt vor der kommenden Herausforderung und Vorfreude nehmen zu, wenn auch nicht in gleichem Maße. Der VP10 am Hotel Haferland in Wieck (km75) wird von einem ehemaligen Ultraläufer betrieben und sorgte in der Vergangenheit mehrfach für leckere Überraschungen. Der Bereich hinter Born (um 80 km) ist sehr schön, denn man hat links den Bodden mit Schilfufer, sieht geradeaus schon Ahrenshoop und weiß um die Ostsee dahinter. Aber trotz gut laufbarem Untergrund scheint auch dieser eigentlich romantische Abschnitt bis zum Hafen Althagen nicht enden zu wollen. Vom dortigen VP12 nach 90 km dort geht es nun vergleichsweise abwechslungsreich noch kurz am Bodden entlang, dann über die Hauptstraße und auf den „Berg“ Richtung Steilküste vor Wustrow. Hier erreichen wir laut GPSies das Dach unserer „Tour de Bodden“ mit der gewaltigen Höhe von etwa 12 m! Wir nähern uns mit großen Schritten der Ostsee. Durch ein kleines Wäldchen geht es zum quirligen Urlauberleben in Wustrow und auf die Seebrücke mit VP13 bei km 94.

Es folgt der Höhepunkt des ganzen Laufs, der
Strandabschnitt von der Wustrower Seebrücke bis Dierhagen Ost:
Während die armen Fahrradbegleiter auf der asphaltierten (mit Ausnahme der ersten 500 m) „Deichsautobahn“ fahren müssen und aufpassen müssen nicht einzuschlafen, haben die Läufer auf dem kaum 100 m entfernten und rund 6 km langen Strandstück das Glück, endlich ihre gute Form herausholen und präsentieren zu können.  Wer sich dabei am fittesten zeigt, genauer gesagt natürlich wer den Abschnitt am schnellsten bewältigt, erhält als Sonderpreis ein Fass Bier. Weil der weiche Strandsand oft recht tiefes und anstrengendes Geläuf darstellt, ist es dabei günstiger, auf dem festeren Untergrund gleich an der Wasserkante zu laufen. Dieser Bereich mit feuchtem Sand ist aber nicht immer trittfest, manchmal kann man dort einsinken und bekommt nasse Füße. Feucht ist der Bereich auch deshalb, weil die Wellen immer mal wieder dorthin getragen werden – ein vorausschauender Blick nach rechts ist also sinnvoll. Zu beachten gibt es noch die Sandburgen und Minibuchten, die von Urlaubern erschaffen werden und die es ebenso zu umschiffen gilt wie Kinder, Spaziergänger, Badende auf deren Weg in die und aus der Ostsee. Buhnen müssen übersprungen werden und je nach vorheriger Sturmlage bilden sich zwischen den Buhnen gerade Stücke oder Mini-Buchten aus. Verschiedene Taktiken lassen sich anwenden, um sowohl den Strandabschnitt als auch den nachfolgenden Teil gut zu bewältigen. Ich persönlich liebe es, am Strand barfuß zu laufen. Dadurch werden die Laufschuhe nicht nass oder sandig und man kann sich die Füße und zumindest auch die Waden wunderbar in der Ostsee abkühlen. Ob man im erwähnten festen Sandbereich barfuß oder mit Laufschuhen schneller ist, würde ich als Ansichts- und Gewohnheitsfrage betrachten. Hier „oben“ im Norden kennen wir keine Berge oder das, was wir als solche bezeichnen würde, läuft anderswo als „‘ne Schippe Sand“ oder „kleine Delle“. Der Sandstrand ist unsere beste Alternative zu den „Entsaftern“ der Läufe in den Bergen. Also würdigt und genießt sie bitte entsprechend! Der Ausblick ist nicht allein wegen der Strandkörbe, Seebrücken, Nackedeis und Surfer konkurrenzfähig, sondern auch wegen der schönen Landschaft, oft mit Sonne und Wind.

Wichtig: Das Ende des Strandabschnitts ist von Wustrow aus noch nicht markant erkennbar. Die Streckenlänge anhand der Zeit abzuschätzen ist wegen des anderen Untergrunds schwierig. In früheren Jahren gab es sowohl Läufer, die zu früh auf den Deichweg abbogen als auch zu weit liefen, auch weil Markierungen des Veranstalters nicht erkannt oder von Urlaubern entfernt oder verdeckt wurden. Zuletzt war das perfekt, da direkt am Strand Helfer standen. Im Grunde genommen ist es recht einfach, wenn man auf die beiden weißen Holzbuden am Strand achtet, die in Dierhagen Ost stehen. Je nachdem, wie gut der Strandabschnitt lief, kann man entweder zur 100-km-Marke (VP14) aussteigen oder läuft noch weiter zurück nach Ribnitz. Für mich hat die 100er Strecke den besonderen Reiz, barfuß ins Ziel laufen zu können, das kurz hinter dem Strandabschnitt folgt – nach Überqueren des Deichs waren es vielleicht noch 200 m auf Asphalt oder dem Gras neben dem Weg bis zum Zielbogen. Wo bitte ist so etwas sonst möglich? Den Schuhtransport muss man dann aber regeln oder die Dinger in die Hand nehmen. Fahrradbegleiter sind hier natürlich sehr hilfreich, aber es ging 2023 auch, die Schuhe an der Wustrower Seebrücke abzugeben, sie kamen später am Ziel an. Manche Läufer haben die Crew des VP14 vor dem Start angesprochen und bei ihnen Wechselschuhe und Socken deponiert – was irgendwie möglich ist, versuchen die Helfer zu ermöglichen. Die Mehrheit läuft allerdings mit den gleichen Schuhen bis ins Ziel und hofft, von Sand und Nässe in den Schuhen verschont zu bleiben.

Transfer:
Wer bei 100 km aussteigt, wird nach einer Wartezeit nach Ribnitz gefahren. Wie lange das dauert, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Wenn andere VPs schließen und die Helfer von dort zurückfahren, können sie oft noch jemand mitnehmen. Alternativ bestellt der Veranstalter ein Taxi. Daher ist es manchmal sinnvoll, noch ein Weilchen auf weitere Finisher zu warten. Bisher war es zumindest bei mir jeweils schneller als ich das Buffet plündern konnte.

Königsstrecke:
Der 115er Lauf führt weiter über die Dörfer Dierhagen, Dändorf , Körkwitz Hof und Körkwitz nach Ribnitz. Dabei wird teils ein Radweg neben der vielbefahrenen Hauptstraße der Halbinsel genutzt, teils sind schöne Abschnitte am Bodden bzw. am Bernsteinsee (VP15) zu absolvieren. Auch wenn sonnige Bereiche dominieren, gibt es hier immer mal wieder Bäume und damit Schatten, bis endlich das Ziel an der Bodden-Therme in Ribnitz erreicht wird. Wer sich nicht auskennt und nicht auf ein Navi bauen kann, wird positiv überrascht, wenn es rechts vom Radweg weg geht und nach wenigen Metern bereits das Ziel erreicht ist. Ein DJ sorgt hier für Stimmung. Die Schwimmhalle hat bis 20 Uhr geöffnet; wer es rechtzeitig schafft, der kann dort wunderbar duschen. Wie üblich sitzen die Läufer meist noch einige Zeit im Schatten neben dem Zielbogen und feiern sich selbst und alle anderen Finisher. Wer sie so sitzen sieht, könnte glauben, der ganze Spaß diente hauptsächlich dazu, Bier trinkend zu klönen. Auch die Finisher der 100er Strecke kommen dorthin und werden ausgezeichnet. Irgendwann verläuft sich das dann aber, weil viele einen Kurzurlaub mit Freunden machen und zum Abendessen wollen oder weil sie nach Hause fahren wollen. Die allerletzten Läufer sehen deshalb wahrscheinlich nur noch wenige Leute im Ziel. Aus diesem Grund und wohl auch weil die Helfer von DRK und Co. nach den vielen Einsatzstunden gern Feierabend machen möchten, wurden zuletzt die Zielzeiten angepasst.

Zeitlimits:
Wer am 100km-Punkt später als 18:30 Uhr eintrifft (Laufzeit >14.5 h), wird mit dieser Zeit gewertet und muss aussteigen, auch wenn der Cut-off erst eine Stunde später erfolgt (keine Wertung nach 19:30 Uhr, also bei >15.5 h auf 100 km). Wer diesen Punkt früher passiert und weiterläuft, muss es bis 21:00 Uhr ins Ziel an der Bodden-Therme schaffen, das sind mindestens zusätzliche 2.5 Stunden für die letzten ca. 13 km bzw. insgesamt maximal 17 Stunden für 115 km. Letzteres entspricht ungefähr dem 24h-Limit für 100 Meilen (6.7 km/h). Angesichts der sehr flachen Strecke, bei der vor allem die erste Hälfte relativ flott gelaufen werden kann, scheint das keine übermäßig harte Bedingung zu sein. Wenn allerdings unterwegs aufgrund Hitze, Gegenwind, Einsamkeit und nicht zuletzt Strandabschnitt ein Einbruch erfolgt und längere Gehabschnitte erforderlich sind, kann selbst ein komfortables Zeitpolster recht schnell aufgebraucht sein. 2023 waren die Zeitlimits noch anders und die Formulierung des Veranstalters deutete auf große Kulanz hin. Als jedoch einige Läufer aufgefordert wurden, ebenfalls bereits nach 100 km den Lauf zu beenden, obwohl sie den (noch gültigen) Cut-off von 18 Stunden locker schaffen konnten, waren diese verständlicherweise verärgert. Letztlich führte das nunmehr zu den aktuellen Regeln. Betrachtet man die Ergebnisse von 2023, so wären von den nur vier (!) Finishern bei 100 km alle gewertet worden. Eine Frau mit 14:00 h und ein Mann mit 13:35 h hätten auch noch weiter laufen dürfen, die beiden anderen Männer nach knapp über 14.5 h hätten nach dem neuen Cut-off auch aufhören müssen (darunter auch ich selbst mit 14:33 h, ich hatte ja eigentlich helfen wollen und mich am Vorabend spontan zur Teilnahme entschieden). Bei den 115 km hätten es nur 3 von 6 Frauen geschafft und 10 von 15 Männern geschafft: Eine Frau und zwei Männer gaben ohnehin nach der Streckenhälfte auf, eine Frau und drei Männer wären am 17h-Limit gescheitert und 3-4 weitere wären nach 100 km gestoppt worden. Das (ab 2024 neue) Limit von 15.5 h für 100 km hätten ein Mann und eine Frau gerissen und wären damit aus der Wertung gefallen. Das zeigt, dass die Zeitlimits durchaus beachtenswert sind, insbesondere für alle Läufer, die eher langsam laufen und den FDZU als lockeren Trainings- bzw. Vorbereitungslauf auf einen Saisonhöhepunkt nutzen. Vielleicht klingt das zuvor Beschriebene ein wenig hart, darum als vereinfachte Zusammenfassung: Es gilt innerhalb von 15.5 Stunden eine 100-Kilometer-Strecke zu finishen, deren erste Hälfte relativ schnell zu bewältigen ist, die zweite Hälfte hingegen so einige Herausforderungen aufweist. Auch wenn ein halbes Dutzend gefinishte 100er keine großen Vergleiche zulässt – meine offizielle Bestmarke stammt vom FDZU.

Mein Fazit:
Der Fischland-Darß-Zingst-Ultramarathon ist einer von drei fest eingeplanten Terminen meines (Lauf-)Kalenders – neben Rennsteig- und Mauerweglauf. Das bedeutet, dass ich mir vorgenommen habe jedes Jahr entweder als Teilnehmer auf oder als Helfer an der Strecke dabei zu sein. Das kommt nicht von ungefähr. Ich mag diese schöne, vielfältige und herausfordernde Strecke, das Organisationsteam und die Tatsache, dass wir Vorpommern einen Ultra im Laufkalender haben (ja – mit Hilfe der Mecklenburger). Kommt doch mal vorbei und tut Euch was Gutes!

Ich drehe schon seit Stunden hier so meine Runden …

https://www.lav-halensia.de/cms/index.php/6-stunden-lauf

Ultraläufe haben die Eigenschaft, eine lange Strecke mit einer langen Zeit zu verknüpfen. Im Grunde gibt es drei Optionen: Zum einen die Punkt-zu-Punkt-Läufe, bei denen man hinterher auf die Karte zeigen kann „von hier nach da bin ich gelaufen“ und die organisatorisch die größten Anforderungen stellen. Deutlich einfacher ist die Organisation, wenn eine oder zwei große Runden zu laufen sind und das Ziel wieder in der Nähe des Starts. Diese Variante gilt für die Mehrheit auch der Ultraläufe. Als dritte Möglichkeit bleiben noch die Rundenläufe, bei denen man immer wieder an Start und Ziel vorbei kommt. Für Läufe nach Zeit ist das fast die einzige Alternative, wobei sich Rundenlängen von 1-2 km als besonders geeignet erwiesen haben. Typisch sind neben dem 1h-Lauf im Stadion die Ultrastrecken mit 6, 12 oder 24 Stunden.

Der Hallenser 6h-Lauf wird im Park auf der Peißnitzinsel an der Saale ausgetragen. Über 50 Teilnehmer liefen am ersten Novembersamstag 2023 bei strahlendem Sonnenschein und frischen 9-12°C (Einzel, dazu kamen 9 Viererstaffeln, die nach jeder Runde wechselten). Die weitgehend windgeschützte Runde verlief brettflach auf breiten, zumeist grob asphaltierten Wegen. Zum Ende bemerkten einige Läufer allerdings einen „Berg aus dem Nichts“, der sich innerhalb 100-200 m fast auf einen ganzen Meter auftürmte und zu Gehpausen einlud. An den Zugangswegen standen kleine Verkehrshütchen und große Helfer, die nicht nur Runde für Runde alle Läufer motivierten, sondern auch Radfahrer und Spaziergänger mit Hunden, Kindern und Fortbewegungsmitteln aller Art auf den Lauf aufmerksam machten und um gegenseitige Rücksichtnahme baten. Dank breiter Wege klappte das hervorragend, Respekt und Anerkennung der Leistung traf auf große Dankbarkeit und Freude über die Abwechslung. An einer etwas rutschigeren Stelle wurde kurzerhand noch während des Laufs das frische Herbstlaub weggefegt. Kurzum, es waren nahezu pefekte Bedingungen.

1439 m Rundenlänge ergibt gut 10 km pro 7 Runden – das machte die Berechnungen einfacher (mit zunehmender Erschöpfung kann ich deutlich schlechter rechnen). Hilfreich waren auch eine große Digitaluhr mit der verbleibenden Restzeit und ein Monitor, der jeweils für 6 Teilnehmer die aktuelle Platzierung, Rundenzeit, zurückgelegte Runden und Kilometer und das Durchschnittstempo sehr schön sichtbar anzeigte. Blindfische wie ich (beim Laufen ohne Brille) liefen ganz nah vorbei und hofften, dass keine Neugierigen direkt vor dem Monitor standen. 1-2 mal habe ich auch einfach gewunken und nach meiner aktuellen Rundenzahl gefragt, die mir auch prompt hinterher gerufen wurde.

Unmittelbar hinter Start/Ziel befand sich der Verpflegungsbereich, der die übliche Auswahl an Getränken (Wasser, Tee, Cola und Kaffee) sowie fester Nahrung (Stückchen Banane, Kartoffelscheiben, Salz, Brot, Salzbrezeln, tuc, Kekse, …) bot. Zusätzlich waren Tische für die Eigenverpflegung der Läufer aufgestellt – für diese konnte man sich bei der Anmeldung einen Platz reservieren, der dann mit Startnummer gekennzeichnet war. Da ich annahm, dass jeweils ein weiterer Tisch aufgestellt wird und ich diesen aus meiner Sicht zu großen Aufwand vermeiden wollte, hatte ich nichts angemeldet und wollte nun auch nicht meine wenigen Sachen dazwischen quetschen. So stellte ich meine Trinkflasche (selbstgemachtes Isogetränk) sowie eine Dose mit Essen und ergänzenden Sachen wie Mütze/Stirnband, Handschuhe, Jacke, Schlauchtuch und mp3-Player direkt auf den Boden. Das war natürlich weniger bequem, doch über sechs Stunden wird man ja noch nicht so hüftsteif wie bei noch längeren Läufen.

Nachdem ich zuletzt das Gefühl hatte, auf allen Strecken von 10 bis 100 km immer langsamer zu werden, wollte ich die Gelegenheit nutzen und testen, wie lange ich ein schnelles Marathontempo (zuletzt vier Stunden plus einige Sekunden) halten kann. Mein eigentliches Ziel waren dabei nicht die 6h, sondern die 50 km. Diese wurden offiziell vermessen, es wurde extra eine zusätzliche Matte verlegt und da wollte ich in die Nähe von 5h kommen. Die Taktik lautete: Gegenüber einem Stundenschnitt von 7 Runden ( 10 km/h) in den ersten beiden Stunden eine Runde „herausarbeiten“ und das möglichst auf den nächsten beiden Stunden halten – und dann mal schauen. Jeder Coach sagt einem, dass dieses „Dann mal schauen“ eine ganz miese Strategie ist, aber mehr (optimistischer) zu planen habe ich mich nicht getraut. Letztlich war ich nach moderatem Start auf den ersten zwei Runden gut und locker genug drauf, den Rundenplan sogar ein wenig zu überbieten (oder unterbieten, je nach Sichtweise). Es passte halt irgendwie: Die (inoffizielle) Marathonmarke passierte ich quasi in Bestzeit (seit meinem Wiederbeginn des Laufens vor vier Jahren, nur als Student war ich schneller) und die 50 km gleich eine Viertelstunde unter den magischen 5 h! Nun war Feiern angesagt und das geht so: Nach Beendigung der 35.Runde erhält der glückliche Läufer eine Fahne (1m-Fahnenstange inklusive), die er auf der nächsten Runde stolz laufend präsentieren darf. Alle können das sehen, alle kommentieren und gratulieren (schließlich hat man das selbst bei den Läufern zuvor auch so gemacht). Es war eine Prozession, ich fühlte mich wie ein 10min-Promi! Da es nun nicht mehr drauf ankam, war die Motivation zum Weiterlaufen geringer und schnell ging es sowieso nicht mehr. Es dauerte zwei Runden, bis sich die Überzeugung durchsetzte, nicht abzubrechen und im Ultraschlappschritt weiter zu laufen, bis irgendwann die 6h um waren.

Die Umkleiden boten zwar Sofas und viele Toiletten, aber für die Dusche hätte man in ein anderes Gebäude gehen müssen, so liess ich das aus. Eine Siegerehrung war für 17 Uhr angekündigt und da ich genug Zeit hatte, wollte ich dort auch hin gehen. Wie sich herausstellte, war es sogar eine kleine Nachfeier, bei der alle in einem holzofenbeheizten Raum saßen und den Lauf und andere Abenteuer besprachen. Es gab ein leckeres Kürbiscurry mit (etwas zu wenig) Reis. Bei der Siegerehrung erhielten die ersten acht Frauen und Männer Pokale und alle Läufer Urkunden und Medaillen: Obendrein durfte sich jeder aus einer recht attraktiven Auswahl an Preisen etwas aussuchen. Gleich drei Frauen überboten den alten Streckenrekord und liefen zwischen knapp 73 und fast 70 km. Sie waren Nationalmannschaftskader für die demnächst anstehende 24h-WM in Taiwan und nutzten den Lauf als Formtest.

Anreise: Eine morgendliche Anfahrt ist weiträumig möglich, da der Start erst 10 Uhr erfolgt und das Briefing nur eine Viertelstunde früher. Halle ist per Bahn hervorragend erreichbar. Vom Bahnhof führen die Straßenbahnlinien 2 und 7 Richtung Kröllwitz in die Nähe der Peißnitzinsel. Für die Autobahnanbindung gilt Ähnliches; (kostenlose) Parkplätze sind unweit des Startbereichs reichlich vorhanden.

Von Bremen nach Sankt Pauli – Scheitern als (Lern-)Chance

Ein Erfahrungsbericht

Das Laufmotto reizte mich ungemein: „100 Miles in a Day: Von Bremen nach Sankt Pauli laufen“. https://www.bremensanktpauli.de/

Das Ganze startete am Pfingstsonntag um 00:00 Uhr und sollte bis Mitternacht beendet sein. Die allgemeine Vorbereitung auf diesen Saisonhöhepunkt 2023 startete wie bei mir üblich ein halbes Jahr zuvor nach einer anstrengenden Saison 2022 und einer längeren (erkältungsbedingten) Ruhephase im Oktober, die lediglich durch den gemütlich absolvierten Rügenbrückenmarathon unterbrochen war. Meist lief ich 3x wöchentlich nach der Arbeit eine Stunde mit einigen Kollegen sowie längere Einheiten am Wochenende, dabei auch den Teammarathon in Leipzig im Januar, zwei Ultras (55 & 100 km) im Februar, 100 km in Grünheide-Störitz im Februar sowie 170 km beim JUNUT im April. Als Auflockerung probierten ein Laufkollege und ich auch mal das Backyard-Format und liefen mal von 6-12 Uhr und einmal von Mitternacht bis 12 Uhr, was eine Gelegenheit bot, die ungewohnte Startzeit auszuprobieren. Franz kennt das ja von Biel, wo die 100 km um 22 Uhr gestartet werden.

Im Wesentlichen war ich mit dieser Vorbereitung zufrieden, allerdings hatte ich dabei einen überraschenden Aussetzer ausgerechnet in Störitz: Bei der 3.Teilnahme in Folge schaffte ich es dieses Mal nicht, die 100 km in rund 12 h zu bewältigen. Im Gegenteil, nach 2/3 der Strecke waren Kopf und Beine so leer, dass es mein erstes „DNF“ überhaupt wurde (von einem Kurztriathlon mit strömendem Regen in den Neunzigern abgesehen, den ich zähneklappernd nach dem Schwimmen abbrechen musste).

Nun kam also gleich das zweite DNF dazu, wovon ich hier berichten möchte. Schließlich ist halt nicht immer nur Erfolg und Sonnenschein. Insbesondere bei den Ultraläufen scheint es, als wäre ein Abbruch mit zunehmender Streckenlänge immer wahrscheinlicher. Bei manchen Läufen ist die Abbrecherquote sogar höher als die der Finisher. Bremen-St. Pauli zählt definitiv dazu: Von 20 gemeldeten Teilnehmern starteten letztlich 16; davon gaben die Hälfte unterwegs auf und von den anderen 8 schafften es nur Matthias Kranz und Matthias Kröling sowie Katrin Grieger in weniger als 24 h, die anderen fünf blieben zusammen anderthalb Stunden über dem Zeitlimit. Daran kann man schon erkennen, dass es keine leichte Aufgabe war, den Lauf fristgemäß zu finishen.

Woran es bei mir letztlich gelegen hat, dass ich selbst nach etwas mehr als der Hälfte aufgab, kann ich gar nicht genau sagen, wahrscheinlich war es eine Mischung mehrerer Ursachen. Im Vorfeld hatte ich mich auf gedanklich diese Möglichkeit eingerichtet und den JUNUT 170 zum zweiten Saisonhöhepunkt erhoben, der ja dann erfolgreich war. Das hat auf jeden Fall den Druck etwas herausgenommen und die Enttäuschung enorm reduziert.

Einerseits ist 100 Meilen in 24 h zu laufen für mich ein ambitioniertes Ziel, zu dessen Erfüllung einige Dinge passen müssen. Bisher sind meine diesbezüglichen Erfahrungen nicht gerade groß: 2021 in Berlin waren es knapp 25 h, andere Läufe waren kürzer oder langsamer, weil bergig. Andererseits war ich letztendlich so weit weg davon, die 100 Meilen zu schaffen, dass es mich etwas überraschte.

Der ursprüngliche Plan beinhaltete eine sehr frühe Anreise. Das hätte bedeutet zwischen 20 und 23 Uhr wartend allein zu verbringen, da die Organisatoren aus Hamburg stammen und erst spätabends anreisten. Der Start war direkt am Weser-Stadion, wo freundlicherweise einer der Fan-Räume genutzt werden konnte. Übrigens kamen gerade Werder-Fans vom Union-Spiel aus Berlin zurück, die nicht ganz zu wissen schienen, ob sie sich wegen des verlorenen Spiels ärgern oder den Abschluss einer erfolgreichen Saison feiern sollten.

Um einen langen Aufenthalt vor dem Stadion zu vermeiden, bin ich letztlich spät angereist und war erst 20 min vor dem Start da: Trotz Umziehen und Sachen packen im Zug war die Vorbereitung mit Briefing, T-Shirtausgabe, Dropbag, Fotos, etc. natürlich etwas hektisch! So haderte ich zu Laufbeginn noch mit den Einstellungen am GPS-Gerät und schaltete auch den Tracker nicht ein. Ob ich das hätte tun müssen oder nicht, weiß ich gar nicht, aber er lief nicht richtig und beim ersten VP gab es einen neuen.

Es liefen alle sehr schnell los, jedenfalls für mich viel zu schnell. Mittlerweile überrascht mich das nicht mehr so sehr, aber so richtig verstehe ich es immer noch nicht. An mangelnder Erfahrung liegt das definitiv nicht, denn die war auch hier bei meisten Teilnehmern riesig, was mir enormen Respekt einflößte. Sicherlich kann bei einem (langen) Ultralauf kaum jemand sein Tempo über die gesamte Distanz beibehalten wie es bei kürzeren Läufen bis zum Marathon noch möglich ist. Da ich nicht sofort abgehängt und allein sein wollte, blieb ich erst mal hinten dabei. Gefühlt waren es 9-10 km/h und der erste VP nach ca. 18.5 km war schon nach glatt 2:00 h erreicht. Gegenüber dem erforderlichen Mindesttempo für 100 Meilen in 24 h von 6.7 km/h ist das fast das anderthalbfache! Eine meiner Sorgen ist das freie Navigieren mittels GPS-Gerät, also das Finden der Strecke und rechtzeitige Abbiegen, aber hier war das (noch) entlang des Weser-Radweges und daher sehr einfach. Da hätte ich also wirklich langsamer laufen müssen, vielleicht hätte das dann noch jemand anderes gemacht.

Die Dunkelheit war kein Problem. Ende Mai, in der Nähe bzw. an den Ausläufern der Großstadt in einer sternenklaren Nacht mit etwas Mondschein war es auf dem Deich alles andere als stockdunkel, da genügte selbst eine recht schwache Stirnlampe. Das war auch kein Problem, als es später in der Nacht kleinere Waldabschnitte gab. Die Morgendämmerung setzte bereits vor 4 Uhr ein und 5 Uhr war es sogar hell genug, um ohne Stirnlampe zu laufen.

Da meine alten Schuhe bereits alle sehr herunter waren (im Durchschnitt hatten sie deutlich über 1000 km weg, wobei ich einige spezielle Paare nur zur Abwechslung oder bei bergigen Trailläufen trage), hatte ich zwei Wochen zuvor beim Rennsteiglauf zwei Paar Laufschuhe gekauft. Nach einem in der zweiten Hälfte (vor allem bergab) zu schnell gerannten Rennsteiglauf-Marathon war ich aber erst einmal körperlich geschafft. Ein Paar erlebte zumindest das Auslaufen am übernächsten Tag, doch wegen schmerzender Oberschenkel lief es nicht recht (5-6 km Traben). Dann kam die große Erkältung, ausgehend oder begleitet von Allergie-Problemen. Damit lag ich erst im Bett und war dann so schlapp, dass ich lieber gar nicht erst gelaufen bin. Das ist natürlich nicht optimal vor 100 Meilen, doch auch sonst ist vor so einem langen Lauf in der letzten Woche fast nur Ruhe angesagt. Die neuen, nicht eingelaufenen Schuhe drückten jedenfalls und belasteten die Fußgelenke, was beim Lauf deutlich zu spüren war.

Dazu kam ein fast stechender Schmerz beidseitig an den Rippen, wo die Laufweste an den Brustkorb drückte. Das war völlig neu und unangenehm! Ein wenig Linderung verschaffte es, die Laufweste nur oben zu schnüren, aber dann schlackerte es wegen der beiden Trinkflaschen. Wie viel Trinken erforderlich ist, kann ich oft nicht gut einschätzen. Manchmal trinke ich zu wenig, meist aber reichlich. Wegen der Wärme am Tag war natürlich der Salzhaushalt zu beachten. Der Plan bestand ursprünglich darin, meist eine Flasche mit Wasser und die zweite Flasche mit Iso-Getränk zu füllen; das Pulver war selbst zusammengestellt und in kleinen Tüten dabei. Das ging zunächst ganz gut, aber möglicherweise habe ich mich doch verschätzt und es wurde hier eines der größeren Probleme.

Sowohl bei VP2 (40 km) als auch VP3 (61 km) wurden meine jeweiligen MitläuferInnen kurz vor dem VP langsamer und beendeten dann leider den Lauf. Ich selbst fühlte mich nach 40 km noch gut, doch beim VP3 nach 61 km merkte ich schon so einige Probleme. Nun wurde es warm und sehr einsam, Die Orientierung klappte ohne Probleme, aber permanent das GPS-Gerät in der Hand zu halten war noch immer ungewohnt. Die Strecke bis zum nächsten VP4 bei 78 km zog sich ganz schön hin entlang einer wenig befahrenen Straße, an Feldern vorbei über kleine Hügel, querte die A1 unten und oben. Abgesehen von einem Pärchen, das wir überholt hatten und von dem nicht sicher war, ob sie noch im Rennen waren (sie liefen deutlich über 100 km), war ich nun allein hinten, wobei das bei so einem kleinen Feld wenig bedeutet.

Nach glatt 10 h waren bei VP4 mit 78 km knapp die Hälfte der Strecke absolviert. Eigentlich eine gute Zeit, die genügend Reserven für die anstrengendere zweite Hälfte, die beginnende Hitze und die Müdigkeit am Abend bieten sollte. Am VP4 startete gerade ein Läufer und ein anderer machte noch Pause. Da es ein „großer“ VP mit besonders umfangreichem Angebot einschließlich warmer Gemüsesuppe und dem Dropbag zum Nachfüllen der Vorräte sowie für Kleiderwechsel war, war eine längere Pause sinnvoll. Wegen der unsicheren Schuhsituation hatte ich ein Paar meiner uralten Laufschuhe eingepackt und wechselte auf diese. Hier sollte vielleicht endlich einmal erwähnt werden, dass der Lauf von 5 Enthusiasten aus Hamburg organisiert wurde, die etwas Großartiges auf die Beine stellten:

Obwohl sie nur so eine kleine Gruppe sind und sich das Feld erwartungsgemäß weit auseinander zog, gab es etwa alle 20 km die Verpflegungspunkte mit einem sehr breiten und spezifisch für Ultraläufer ausgewähltem Angebot. Wasser, Iso, Cola, Fanta, Kaffee gab es überall, meist auch Brühe und Bier. Salzige und süße Snacks, selbstgebackener Kuchen, Obst und Gemüse, Brot mit Aufstrichen sowie Riegel wurden angeboten. „Der Einfachheit halber bieten wir alles vegan an“ – was für eine Knalleraussage für jemand wie mich, der Probleme mit Milchprodukten hat und normalerweise gar nicht erst das Wort „laktosefrei“ anbringen mag, um nicht wie ein Nörgler zu wirken. Klar, bei den 100 Meilen von Berlin ist die Vielfalt noch größer, auch dank der ganzen Helfer sind die Stände größer und individueller bestückt. Aber was bei vielen hundert Teilnehmern geboten wird, kann von einer Handvoll Leute für anderthalb Dutzend Läufer unmöglich erwartet werden. Es war einfach toll!

Zurück auf der Strecke gab es nun immer mehr Radfahrer. Der Weg führte entlang eines Radwanderwegs, des nächsten Flusses, des nächsten Orts (Sittensen) – und da waren sie wieder, die ewigen treuen Krisenbegleiter Erschöpfung und Zweifel. Wozu das alles – Du bist doch müde und geschafft, wer weiß, ob die Zeit überhaupt reicht, es ist heiß und Durst hast Du auch… Der Podcast war wie geplant nicht zu aufregend, sollte mich ja noch stundenlang beschäftigen ohne aufzuregen. Manchmal hilft dann noch, in den Power-Modus überzugehen: Aufputschende Musik und reichlich Cola. Aber irgendwie hatte ich für beides scheinbar die Gelegenheit verpasst…

Der nächste VP, Nummer 5 nach 95 km, ist der einzige unbesetzte VP. In der Mitte des Rennens wird es nicht nur schwierig, die sich überschneidenden VP-Zeiten zu bedienen, sondern auch so warm, dass die einzelnen Abschnitte nicht zu lang sein sollten. VP5 lag klar beschrieben und einfach zu finden an einem Schuppen der Bahnanlagen direkt neben einem Bahnübergang und bot Getränke zum Auffüllen von Körper und Trinkflaschen. Langsam kam er näher, doch als er schließlich nach knapp über 13 h erreicht war, stand die Entscheidung schon fest: Aufgabe! Daran änderte auch das Trinken nichts. Schweren Herzens rief ich die Rennleitung an und teilte den Entschluss mit. Da gab es keinen Überraschungsmoment, schließlich lag ich recht weit hinten, es hatten schon mehrere Läufer aufgegeben und welchen anderen Grund sollte es sonst auch geben für einen Anruf? Überzeugungsarbeit kann man vielleicht leisten, wenn es sich um einen Lauf mit kurzen Runden oder geringen Abständen zum nächsten VP handelt. Hier war auch die Aussicht auf Nudelsalat nicht verlockend genug, weitere 11 km zu absolvieren. So holten mit die freundlichen Organisatoren mit einem Auto ab und fuhren mich zum nächsten Bahnhof, während des zweite mit meinen Sachen ebenfalls dorthin kam (Dropbag und Rucksack fürs Ziel). Damit konnte ich direkt heimfahren und hatte noch als Trostpflaster etwas restliches Pfingstwochenende zum Ärgern, äh zur mentalen Aufarbeitung des Laufs.

Der Lauf schien zunächst ein Versuch der Organisation eines Ultralaufs zu sein, bei dem nicht klar war, ob es eine Wiederholung geben würde. Am Veranstaltungstag  hieß es dann bereits, dass die fünf mit dem bisherigen Verlauf der Premiere insgesamt ganz zufrieden waren und eine Neuflage in zwei Jahren planten. Inzwischen wurde die 2.Ausgabe von Bremen-St. Pauli auf Pfingsten 2024 gelegt – eine Woche nach dem Rennsteiglauf. Da ist sie, die Gelegenheit, eine offene Rechnung zu begleichen, liebe Freunde!

So verabschiede ich mich mit einem „Manche lernen’s nie“,

Ralf

PS: Es lohnt sich wirklich, diese kleine aber feine Veranstaltung anzugehen. Kein Megaevent, aber eine Herausforderung für Körper und Geist mit sehr schöner Streckenwahl.