Deutschlands vielleicht längste Schleife: Der JUNUT

Lange Läufe gibt es viele in Deutschland, aber natürlich wird die Vielfalt mit zunehmender Streckenlänge geringer. Oberhalb der 120 km-Marke gibt es nach meinem Wissen aktuell eine Handvoll Hundertmeiler sowie einige wenige Landschaftsläufe wie den KoBoLT im Rheintal mit 140 km, den 200km-Lauf im Taubertal sowie zu Pfingsten entweder die TorTour de Ruhr mit 230 km (gerade Jahre) bzw. die Heidi 222 mit 222 km durch die Lüneburger Heide (ungerade Jahre) – und den JUNUT.
(Abgesehen von den 24/48h-Läufen und Etappenläufen natürlich!)

Dabei handelt es sich um einen trailigen Lauf auf dem „Qualitätswanderweg Jurasteig“ in der Oberpfalz. Dieser Wanderweg hat die Besonderheit, ein Rundweg zu sein. Normalerweise wird er in einer Reihe von Tagesetappen erwandert, beispielsweise einem guten Dutzend von etwa 20 km. Zusätzlich gibt es noch thematische Extra-Schlaufenwege, so dass zwei Wochen intensiver Wanderurlaub möglich sind. Die Gesamtlänge des Rundwegs ohne Schlaufen beträgt knapp 240 km. Genau das ist dann auch die Königsstrecke des Jurasteig Nonstop Ultratrails (JUNUT), der jedes Jahr Anfang / Mitte April in Dietfurt an der Altmühl gestartet wird. Die Altmühl ist der erste, aber längst nicht der einzige Fluß an dem entlang die Strecke führt. Bereits nach wenigen km verläuft parallel bzw. anstelle der Altmühl der MainDonau-Kanal, später folgen Donau, Naab, Vils, Lauterach sowie Schwarze und Weiße Laber. Dabei geht es immer wieder von einer zur anderen Flußseite sowie auf und ab zu wunderschönen Berghängen und Aussichten. Die Anstiege sind nicht übermäßig lang oder hoch -„nur“ 100 bis maximal 150 Höhenmeter- doch die Anzahl macht es! Wo sonst zu viele Jäger des Hasen Tod sind, zermübt hier das stetig wiederkehrende Auf und Ab, verbunden natürlich mit der Streckenlänge selbst.

Viel Auf und Ab summiert sich.

Es gibt drei Strecken zur Auswahl:

  • – die ganze Runde von 239 km mit 7500 Höhenmetern und 54 h Zeitlimit
  • – die mittlere Strecke von 170 km mit 5400 Höhenmetern und 39 h Zeitlimit
  • – die „Bambini“-Strecke von 104 km mit 3600 Höhenmetern und 23.5 h Zeitlimit.

Die meisten Läufer nutzen (faltbare) Stöcke, um an den Steigungen bessere Halt zu finden und Kräfte zu sparen. Das ist auch eine Frage der Technik und Übung, wieviel Erleichterung man erzielen kann. Auf flacheren Abschnitten muss das zusätzliche Gepäck in den Rucksack.

Am Main-Donau-Kanal
Nachfolgend: Aufstieg zum Schloß Prunn

Start ist am Freitag um 9 Uhr, 11 Uhr oder 15 Uhr nach freier Auswahl und bevorzugtem Lauftempo. Bei meiner Premiere vor zwei Jahren wollte ich ganz schlau sein und erst nachmittags anreisen, weil ich für meine 104 km erwartete, auch mit 17.5 h auszukommen. Das wäre vermutlich auch machbar gewesen, doch in der (kleineren) 15Uhr-Gruppe gab es keine Läufer meines Formats, die waren alle mindestens zwei Leistungsklassen besser und schneller. Um nicht nachts ganz allein im Wald zu sein, klemmte ich mich dann an die letzte Gruppe und lief ein für mich zerstörerisches Tempo auf den ersten 50 km. Die passenden Rahmenbedingungen gab es obendrauf: Starke Regenfälle, Gewitter und Blitze in ehrfurchtsgebietender Nähe, Sturm und Nachttemperaturen am Gefrierpunkt, wobei mir klar wurde, dass auch meine Ausrüstung nicht ganz optimal war. So kam es, dass ich das Rennen bereits nach 50 km beenden wollte. Kurz vor dem VP teilte ich den anderen meinen Entschluss mit und wir diskutierten hin und her, sie versuchten mich ob der noch ewig langen Zeit zu überzeugen, im Rennen zu bleiben. Ich weiß nicht, wie ich entschieden hätte, aber meine Rettung war der Abbruch der Veranstaltung durch die Rennleitung wegen der katastrophalen (und für manchen Starter sehr riskanten) Rahmenbedingungen. Trotzdem brannten mir danach eine ganze Nacht wie verrückt die Oberschenkel!

Die große Gruppe der 9Uhr-Starter am Marktplatz in Dietfurt.

Im letzten Jahr (2023) zog ich die Konsequenzen – und startete auf der 170er Strecke. Allerdings in der großen Gruppe um 9 Uhr und bei etwas besserem Wetter. Nach anderthalb Tagen war ich im Ziel, äußerst geschafft, aber „Stolz wie Bolle“, wie der Berliner zu sagen pflegt. In diesem Jahr war eine Wiederholung geplant, jedoch ob der anstehenden Pläne des Heidi-Etappenlaufs hoffentlich ohne totale Erschöpfung. Der 2024er Lauf lief dann auch recht gut und mein Fazit ist eigentlich auch positiv. Es war ganz gutes Wetter und hat mir echt Spaß gemacht.
Die Relativierung kommt „nur“ daher, dass ich in diesem Jahr den JUNUT 170 leider nicht beendet habe. Letztlich war es wohl wie immer eine Mischung mehrerer Faktoren, die sich negativ auswirkten. Bei einem Ultralauf ist es ja so, dass Probleme und Überraschungen dazugehören und früher oder später auftauchen. Bis zu einem gewissen Grad ist das vorher zu erwarten und kann gut kompensiert werden, aber irgendwann siegt es über den Willen.

Wenn der Socken aber nun ein Loch hat...

Wenn der Socken aber nun ein Loch hat…

Es ging schon damit los, dass ich blöderweise einen Socken mit Loch an der Fußsohle angezogen hatte. Beim Training merkt man das ja kaum, da lässt sich das kompensieren und selbst eine leicht gereizte Stelle wird schnell wieder ganz normal. Wenn allerdings ein Ultra über anderthalb Tage geplant ist, sollte man doch etwas mehr Verstand erwarten können, denn so etwas wächst sich unweigerlich aus! Jedenfalls war gleich nach dem Start spürbar, dass sich da etwas entwickeln wird. Nach nicht einmal zwei Kilometer suchte ich eine Bank und klebte ein Blasenpflaster drauf. Auf der mit Anti-Rutsch-Gel frisch eingeschmierten Fußsohle hielt das nicht wirklich, aber bis zum VP3 habe ich mich damit gut gefühlt und dort konnte ich die Socken wechseln bzw. dünne unterziehen. Kein ernsthaftes Problem soweit.

Mein Beitrag zum Caspar-David-Friedrich-Jahr 2024!
(Aussichten eines Greifswalders im Mittelgebirge)

Kritischer war vielleicht das Tempo, insbesondere auf abschüssigen Abschnitten. Es fühlte sich alles gut an, der erste Abschnitt war bis auf die Minute genau wie 2023 und auch der nächste nur wenige Minuten schneller absolviert, allerdings auch schon eine dreiviertel Stunde unter meinem groben Zeitplan.
Beim JUNUT sind die Abstände zwischen den VPs zumeist relativ lang, doch mit einer Laufweste kommt man ganz gut klar. Nur wenn es warm ist, wird es schwierig. Dieses Mal war es warm (21 Grad waren angesagt, gefühlt war es deutlich mehr und das noch ungewohnt in diesem Jahr) und sehr sonnig. Am Freitag hatte ich mich eingecremt, am Samstag hatte ich keine Sonnencreme und vergaß leider auch, an VPs danach zu fragen. Das war schon etwas anstrengend, vermutlich hatte ich einen leichten Sonnenstich. Die Strecke zwischen VP2 und 3 (50 bzw. 78 km) wurde recht lang, doch dank einer privaten Zusatzversorgung bekam ich einen Extraliter Wasser (wenn man fragt, sind fast alle Leute bereit zu helfen) und kam damit sehr gut über die Runden.

So war ich bereits nach 11:30 h (ohne Stirnlampennutzung!) beim berühmten VP 3 in Matting (Plan 13 h). Dort ist der VP im Feuerwehrhaus und die Feuerwehr hat sehr viele Mitglieder und Helfer – praktisch ist das ganze Dorf auf den Beinen! Am Eingang steht ein Pizza-Ofen, der im Dauerbetrieb läuft. Sobald man seine Startnummer verkündet, wird das Dropbag gesucht und gebracht und es geht hinein ins Haus. Es war eine Stunde Aufenthalt eingeplant. Obwohl ich mich von Tag- auf Nachtkleidung umgezogen, umfangreich gestärkt, das Telefon geladen, meine Vorräte aufgefüllt und auch einige Zeit auf der Bank liegend ausgeruht habe, war ich bereits nach einer dreiviertel Stunde voller Zuversicht wieder draußen. Dann ging es zur Donau-Fähre, die zur Nachtzeit natürlich nicht fährt und deshalb von der Feuerwehr mit einem Motorboot ersetzt wird (Sie startenab 21 Uhr und stellen dadurch einen zeitlichen Engpaß dar, ein weiterer Grund warum schnellere Läufer gern später starten). Auf der anderen Seite fanden sich schnell zwei Gefährten für den ersten Nachtabschnitt. Dank geliehener Stirnlampe konnte ich dieses Mal sehr viel mehr von den kleinen Reflektoraufklebern profitieren, die auf den Wegweisern angebracht wurden. Das ermöglicht, mehrere und teils hundert Meter entfernte Schilder im voraus zu erkennen und macht die nächtliche Orientierung viel einfacher, vielleicht sogar besser als am Tage. Genial! (Leider gibt es einen Förster, der in seinem -zum Glück kleinen- Zuständigkeitsbereich regelmäßig die Reflektoren abkratzt, weshalb einer der Helfer diesen Abschnitt jeweils kurz vor dem Lauf noch einmal neu beklebt. Nicht die einzige Anekdote mit Förstern: Dieses Mal wurde die Polizei gerufen, weil stirnlampenbewehrte Läufer bei der Wildschweinjagd stören und sich überhaupt selbst gefährden würden und deshalb nachts nix zu suchen hätten im Wald! Leider war der zuständige Polizeibeamte zunächst nur eingeschränkt erreichbar, da er als Helfer an einem VP stand…)

So langsam waren die bisherigen Belastungen zu spüren, insbesondere auf abschüssigem Geläuf stellten sich unangenehme Schmerzen oberhalb des Knies ein, das ist wohl der Ansatz des Quadrizeps und typisch für Läufer, die Bergabtraining und kompensierende Übungen vernachlässigen! Der VP 4 nach 88 km war relativ schnell erreicht und zügig absolviert, bis zum VP 5 bei 104 km, dem Ziel der kürzesten Strecke, nahmen die Probleme jedoch deutlich zu. Jeder Schritt bergab schmerzte, ich wurde müde und deprimiert ob der noch so langen Anstrengung und Strecke vor mir. Eine längere Pause war zwar nicht vorgesehen, jedoch dringend indiziert! Es wurden mit Ruhe auf einer Liege bestimmt anderthalb Stunden, doch sie taten sehr gut. Der VP-Betreuer, der sich dort sehr liebevoll um mich kümmerte, war sehr erstaunt, dass es dann doch noch weiter ging, aber es war ja noch nicht einmal hell draußen und auch noch reichlich Zeit und Weg zu gehen…
Der nachfolgende Abschnitt bis VP 6 bei 117 km war vergleichsweise kurz. Mit einer Mischung aus alten Problemen (Schmerzen) und frischem Elan ging es überraschend gut voran, insbesondere auf den letzten paar Kilometern, die leicht bergauf verliefen, was sich wunderbar und kraftvoll wandern ließ. Vielleicht war es ja einfach nur das erste Tief gewesen, aus dem es nun in den lichten Tag hinein geht!? Zumindest wollte ich das sehr gern glauben und machte mich mit viel Zuversicht auf den Weg zum nächsten VP 7 bei 138 km.

Dieser lange Abschnitt wurde für mich dann auch der letzte. Es kam alles zusammen und wurde mir irgendwann zu viel: erneute Sonne (ohne Sonnencreme), Wärme (mit Extrawässerung in diversen Dörfern), Verlaufen und Abkürzungen zurück durch Wald und Gebüsch, immerfort Anstiege und Gefälle und gefühlt eine Schleife nach der anderen anstelle des direkten Weges neben der Straße. Dazu kam das Wissen vom letzten Jahr, dass es auf den letzten beiden Abschnitten bei km170 genauso weiter gehen würde, allerdings eher mit höherem Anteil an sonnigen Abschnitten. Irgendwie wollte ich diese Quälerei nicht mehr, hatte viel Respekt vor dem Nachfolgenden und befürchtete, mich vollend abzuschießen. Was, wenn ich zwar ins Ziel käme, doch danach mehrere Wochen nicht in der Lage wäre zu laufen? Schließlich war es ein ganz wesentlicher Teil des JUNUT-Plans gewesen, möglichst schonend über die Strecke zu kommen.

So habe ich mir dann meine Aufgabe des JUNUT damit schöngeredet, dass ich ja mit 138 von 170 km einen großen Teil geschafft hätte und nun „verantwortungsvoll“ handeln würde. Es sind genau zwei Wochen Erholungszeit bis zum nächten Abschnitt meiner Vorbereitung auf den Mauerweglauf im August: Der HEIDI-Challenge, einem flachen Etappenlauf über 340 km in 5 Tagen (So 28.04.-Do 02.05.2024), entlang der Seen, Flüsse und Kanäle rund um Potsdam und Berlin. Sollte es gelingen, den ohne große Probleme durchzuziehen (nur kurze Wanderabschnitte), dann war es die richtige Entscheidung. Wenn auch das scheitert, werden die ganz erheblichen Zweifel kommen. Franz und ich werden davon berichten!